Tag 30: Vilaserio – Cee

Noch einmal ging es früh los. Um halb 7 verließ ich die schmucke kleine Herberge. Soweit ich das erkennen konnte, war ich der erste, der die Unterkunft an diesem Morgen verließ. Als ich den Fuß aus der Tür raus setzte, merkte ich erst, wie lausig kalt es war. Die Wetter App zeigte für Vilaserio 6 Grad Celsius an. Trotzdem ging es mit Fleece Pully und kurzer Hose auf den Weg, auch weil ich kein Bock hatte, mir noch eine andere Hose anzuziehen 🙂

Nach den ersten Kilometern durch die kalte Morgenluft erstreckte sich sehr weit und flachhügelig das Hochplateau der Region Xallas (bekannt für Korbflechtarbeiten „Cesteria“, und ausgefallene Frauenhüte aus Stroh „Sombreros de paja“) bis zum Horizont vor mir.

In Santa Mariña nahm ich gegen 08.30 Uhr den ersten Kaffee zu mir, auch um mich von innen zu wärmen. Die Sonne zeige sich nun immer mehr am Horizont, aber spürbar warm wurde es bisher noch nicht. Weiter ging es, wie immer auch über kleinere Berge oder Anstiege. Wie immer? Nein, heute hätte ich vor einem Anstieg rechts abbiegen müssen. Den Hinweis musste ich völlig übersehen haben. Normalerweise ging es doch immer über den nächsten Berg… und wie oft hatte ich das in den letzten Tagen schon verflucht:-) ausgerechnet jetzt war es einmal anders und so landete ich 30 Minuten später mitten vor einem abgeernteten Feld. Niemand anderes war zu sehen. So ein scheiss, dachte ich und stand da mit meinem Talent. Nützte ja nix, ganz bis zur Abbiegung zurückgehen, wollte ich nicht mehr. So zückte ich mein Smartphone und folgte dem Pfeil quer über das Feld um wieder auf den Camino zu gelangen. Nach knapp 20 Minuten querfeldein und einigen hoch gewachsenen Wiesen war ich wieder auf dem richtigen Weg und ärgerte mich etwas über die verlorene Zeit… shit happens.

Hórreos heißen diese Maisspeicher, die im nordwestspanischen Galicien sehr oft vorkommen.

Nicht bedingt durch den Umweg, sondern weil sie in Galizien sehr oft vorkamen, entdeckte ich einen der vielen Hórreos, der sogenannten Maisspeicher. Viele von Ihnen waren bereits zerstört oder zerfallen. Dieses wunderschöne Exemplar schaffte es bei mir als Foto verewigt zu werden:-) Hintergrund für diese Bauweise waren die klimatischen Bedingungen im Nordwesten der iberischen Halbinsel. Regenmengen von bis zu 2000 mm/Jahr sind in Galizien nicht selten; die daraus resultierende hohe Luftfeuchtigkeit lässt die Vorräte bei schlechter Durchlüftung verrotten. Gleichzeitig dürfen aber keine Schädlinge (Mäuse, Ratten) durch die notwendigen Lüftungsöffnungen eindringen. Diese sind klein genug angelegt, um Vögel vom Lagergut fernzuhalten. Die Steinplatten bilden einen Überhang, der von den am Boden lebenden Nagern kaum zu überwinden ist.

Der extra Weg entschädigte mich dann aber auch noch mit einem tollen Ausblick über das weite Land…

Ich erreichte knapp drei Stunden nach meinem letzten Stopp in Santa Marina das Örtchen Olveiroa. Kurz vorm Ortseingang kamen mir einige Pilgergruppen entgegen, die zuvor mit dem Reisebus dort abgesetzt wurden.

Olveiroa war ein kleiner beschaulicher Ort, der mich einlud eine Pause zu machen. Zeit für eine Stärkung und den Füßen etwas Erholung zu gönnen. Mein Uhr zeigte mir an, dass ich bis hierher 26 km hinter mir gelassen hatte. Von hier aus waren es bis Finisterre noch knapp 31 km. Beim Essen entschied mich heute für Patatas bravas und ein kühles großes Blondes. Nicht das gehaltsvollste Essen, aber ich hatte bock drauf!

Ein holländischer Pilger den ich schon in den letzten Tagen immer mal wieder gesehen und kurz gegrüßt hatte, machte hier ebenfalls rast. Zwei Tische weiter saß noch ein etwas älterer deutscher Wanderer. Wir kommen gemeinsam ins Gespräch. Uwe, so heißt der Deutsche erzählte uns, dass er den Camino schon einmal bis Finisterre gelaufen war.

Er berichtete von seinen Erlebnissen und wir hörten ihm aufmerksam zu. Vor vier Jahren hatte er hier auf dem Weg seine jetzige Frau kennengelernt, sie war ursprünglich aus Dänemark. Mittlerweile verbrachte er die meiste Zeit des Jahres dort. Da ich Finisterre bald erreichen würde, fragte ich ihn nach einem guten kleinen Hotel oder einer Pension. Wie es der Zufall wollte, gab er mir direkt einen guten Tipp, um mich ein paar Tage einzuquartieren. Ich verließ mich einfach auf ihn und bat ihn dort für mich anzurufen, als er mir direkt erwiderte, „nein, kein Problem die sprechen dort deutsch“. Ich griff zum Telefon und reservierte mir ein Zimmer für drei Nächte in der Pension Lopez in Finisterre. Ich war erleichtert, dass ich mich bei meiner Ankunft nun nicht mehr darum kümmern musste. Bedankte mich bei Uwe und verabschiedete mich von den beiden, da mein Tagesziel noch ein gutes Stück von hier entfernt war, genauer gesagt waren es noch 18 km…

Der Weg war einerseits wunderschön, aber andererseits auch in der Mittagssonne wieder ziemlich brutal. Die Kälte von heute Morgen hatte ich längst vergessen und nun war ich froh, die kurzen Hosen anzuhaben. Es war affenheiß… Zum Glück hatte ich in Olveiroa auch meinen Wasserbestand wieder aufgefüllt.

Kurz vor Hospital, knapp 1 ½ Stunden nach dem ich Olveiroa verlassen habe, traf ich Josef und Marc wieder. Wir gingen ein Stück zusammen bis wir den Ort erreichten. Die beiden hatten hier eine Herberge reserviert und checkten ein. Die rüstigen Rentner hatten heute eine beachtliche Strecke von fast 30 km hinter sich gelassen… Respekt! Ich nutzte die Zeit für eine erneute Pause und genehmigte mir noch ein Bier:-). Gleichzeitig deckte ich mich mit einer großen Flasche Wasser ein, da das kommende Stück des Weges es sehr in sich hatte. 15 km lagen noch vor mir. Ich verabschiedete mich von Marc und Josef und ging wieder los. Der Abschnitt erinnerte mich unfassbar stark an die Meseta. Lange gerade Wege die ins nichts führten. Der Unterschied war, dass es hier links und rechts des Weges knallgrün war… Aber dem Auge wurden keine optischen Highlights geliefert. Es war hart sich motivieren, dazu brannte die Sonne von oben unerbittlich.

ab hier ging es entweder nach Finisterre oder Muxia…

Ich brauchte zur Motivation etwas Musik und stopfte mir die Kopfhörer ins Ohr. Kein Pilger, den ich überholte und keiner der mir entgegen kam… So kam ich einige km ganz gut voran, was jedoch nicht darüber hinweg täuschte, dass sich der Weg zog wie ein Kaugummi. Es wurde noch einmal so heiß, dass ich nach ewiger Zeit tatsächlich meinen Sonnenhut aus dem Rucksack kramte und aufsetzen musste.

Und dann war plötzlich alles vergessen…

Belohnung für so manche Strapaze auf dem Weg nach Cee

Vor einer leichten Rechtskurve, erblickte ich zum ersten Mal nach all den Tagen das Meer. Auf einmal war es einfach da… Was für ein sensationelles Gefühl… Ich blieb stehen und genoss für eine ganze Weile diesen wunderschönen Blick…

Die Glücksgefühle durchströmten meinen Körper und mit einem Mal war die Motivation zurück. Nach der Kurve ging es steil bergab. Dabei traf ich nach langer Zeit wieder einen Pilger bzw. eine Pilgerin. Zufällig auch noch eine Deutsche. Maja vom Bodensee. Sie wollte an diesem Tag auch bis Cee gehen. Etwas ungläubig schaute sie mich an, als ich ihr erzählte, dass ich heute Morgen von Vilaserio aus gestartet war und es bis Cee dann ganze 42 km sein werden. Während wir liefen und quatschen, merkten wir fast nicht, dass wir schon kurz vor Cee waren. Ich war heilfroh mein Etappenziel erreicht zu haben. Majas Herberge war bereits total ausgebucht, aber direkt schräg gegenüber fand ich noch ein freies Bett in einer anderen Unterkunft. Etwas ganz anderes als noch tags zuvor dachte ich, und musste an die schmucke Herberge in Vilaserio denken… Egal, ich war nur noch eine Wanderung von Finisterre entfernt. Nach der wohltuenden Dusche ging ich in den kleinen Ort und fand zentral gelegen ein schönes Restaurant. Nach der langen Etappe wollte ich schnell noch etwas Essen, bevor die Sonne unterging.

Der Salat in Cee war mega 🙂

Ich genoss die letzten Strahlen der untergehenden Sonne, bevor sie hinter einem Berg verschwand. Nun wurde es auch wieder schlagartig kalt. Theresia meldete sich per WhatsApp bei mir. Sie hatte heute stolze 46 km zurückgelegt und war ebenfalls bis Cee gelaufen. Sie saß nur knapp 100 Meter entfernt von mir in einem Burger Laden… Ich ging zu ihr rüber und wir quatschen über die heutige Etappe. Noch schnell in den Supermarkt um mich mit Getränken für den morgigen Tag einzudecken. Als ich in der Herberge ankam, falle ich nach der Mörderetappe direkt ins Bett… schaue vor dem Einschlafen aber noch die ein oder eine Folge Stromberg auf dem Handy… Gute Nacht!

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