An diesem Morgen startete ich wieder allein. Da die Herberge nicht direkt am Jakobsweg lag, waren die ersten Meter aus der Stadt raus etwas chaotisch. Vielleicht lag es auch daran, dass ich noch nicht ganz wach war :-). Ich konnte jedoch weitere Pilger entdecken die mit ihren Handlampen nach dem richtigen Weg suchten. So war ich mit meiner Verwirrung nicht ganz allein… Mit etwas Mühe fanden wir dann doch den Weg aus der Stadt raus. Gegen kurz vor acht Uhr kam ich an einer Schule vorbei. Beim Laufen überholte ich ein paar Schüler auf dem Gehweg. Mir fielen direkt die Uniformen der Kinder auf. Die Jungs trugen eine graue Hose, einen dunklen Pullover und schwarze Schuhe. Die Mädchen hatten einen grauen Rock, ein dunkelrotes Oberteil, dunkelrote Socken und ebenfalls schwarze Schuhe an. Ich musste an meine Schulzeit denken und wie es damals „klamottentechnisch“ bei uns zuging. Gerade so zu Zeiten der Pubertät. Welche Marken waren gerade angesagt, welche gingen gar nicht und was musste man an haben um „in“ zu sein. Meine Eltern hatten schlichtweg nicht das Geld, uns drei Jungens sämtliche Klamottenwünsche zu erfüllen. Zumal meine Mama mir auch den Vogel zeigte, als ich ihr erzählte, dass so ein Best Company oder Blue System Pullover um die 200 Mark kosten sollte. Der ein oder andere kann sich jetzt vielleicht daran erinnern und es fallen euch bestimmt noch weitere Marken ein, die damals so gehandelt wurden:-) Mama sagte nur, „für das Geld bekomme ich locker fünf Pullis“. Und so war das Thema dann auch beendet. Da gefiel mir die Lösung mit den Schuluniformen hier viel besser.

Entlang eines Parks verließ ich dann endgültig die Stadt. Über Schotterwege und Trampelpfade ging es immer weiter Richtung Navarrete. Nach knapp drei Stunden war es Zeit für einen ersten Stopp. Natürlich mit einem Café con leche und einem frisch gepressten zumo de naranja. Ich ging weiter und meinen ersten Stempel erhielt ich heute an einer Holzhütte am Weg. Hier hatte es sich ein ehemaliger Pilger zur Aufgabe gemacht die Reisenden mit einem Imbiss und Andenken zu versorgen. Natürlich wieder alles auf Spendenbasis. Diesen Anblick werde ich nie vergessen, da der Mann in der Holzhütte aussah wie der Nikolaus. Ich weiß was ihr jetzt denkt, ein Foto wäre toll gewesen. Leider hatte ich in diesem Moment nicht daran gedacht. Kurz vor Ventosa traf ich die „Deutschen“ wieder. Wir unterhielten uns über die bisher zurückgelegten km auf der Etappe.

Heute fiel mir jeder Schritt sehr schwer. Ich konnte nicht einmal sagen warum. Die ersten Kilometer ging es wieder an unzähligen Weinbergen entlang. Die Strecke verlief flach und es gab kaum Anstiege. Erst kurz vor Ventosa wurde der Weg, wie auf dem Bild zu sehen anstrengender und unangenehmer und ich musste sehr darauf achten wo ich hin trat. Das Frühstück in der Pause brachte mir auch nicht die gewünschte Energie. Nach gut 20 km kamen wir in Ventosa an, es war mittags. Hierzubleiben war jedoch keine Option für mich, da es einfach noch zu früh am Tag war. Nach zwei kühlen Bieren ging es weiter. Um mich zu pushen nutzte ich erstmals Spotify auf meinem Handy und stopfte mir die Kopfhörer ins Ohr. Die letzten knapp 10 km bis Najera waren wieder hart, trotz der Musikmotivation. Der Weg zog sich gefühlt wie ein Kaugummi, die Strecke war eintönig und wenig abwechslungsreich. Zudem brannte die Sonne ordentlich, sodass ich auf meinen schicken Sonnenhut zurückgreifen musste.

Als ich die dann ziemlich geschafft die öffentliche Herberge erreichte, traf ich vor dem Eingang auf eine lange Schlange. Die Unterkunft hatte erst seit 15 Uhr offen, jetzt war es 15.30 Uhr. So stellte ich mich in die Reihe der Pilger. Hier ging auch nach 20 Minuten nix voran. Ich konnte leider nicht sehen woran das lag und was denn da wohl solange dauert. Als ich endlich die Eingangstür der Herberge erreichte, sah ich den Grund für das lange Warten. Eine sehr alte Dame füllte die persönlichen Daten jedes Pilgers mit sehr großer Sorgfalt in ein Buch. Im Anschluss daran nahm ein Herbergsvater, ebenfalls im fortgeschrittenen Alter jeden Pilger einzeln und persönlich in Empfang um ihn zu seinem Schlafplatz zu begleiten. Ein toller Service könnte man denken. Mir war aber nach dem langen Tag fast die Hutschnur geplatzt… Bitte nicht falsch verstehen, ich wusste das Engagement in der Herberge sehr zu schätzen, wollte aber einfach aus meinen verschwitzen Sachen raus und unter die Dusche.

Um sage und schreibe 17 Uhr war es endlich soweit und ich konnte mein Bett beziehen. Wäre ich doch in Ventosa geblieben dachte ich in diesem Moment. Oder ich hätte mir eine andere Herberge im Ort gesucht. Jetzt war es egal. Ich wollte einfach nur Duschen. Nachdem ich mein Bett bezogen hatte, beeilte ich mich um unter die Dusche zu kommen. Hier wartete die nächste Überraschung auf mich. Diese Herberge hatte Platz für 90 Pilger, aber nur jeweils zwei Duschen für Frauen und Männer.
Wieder hieß es Geduld beweisen, anstellen und warten. Kurz vor der Abendbrotzeit war dann alles erledigt und ich zog mit einigen Pilgern in die Stadt. In einem Supermarkt kaufte ich Wasser für den nächsten Tag, spontan noch ein 3er-Pack Stiel eis dazu. Eines davon schenkte ich draußen vor dem Supermarkt einer jungen Mutter mit ihrer Tochter. Die kleine war total happy und lächelte mich freudestrahlend an. In einer Bar nahe der Herberge ließen wir Pilger uns nieder und verbrachten dort gemeinsam den Abend.
Als wir zurück in der Herberge waren machte ich eine freudige Entdeckung. In dem riesigen Schlafsaal gab es tatsächlich eine Klimaanlage und sie war eingeschaltet.

Kurz bettfertig gemacht und ab in die erste Etage des Doppelstockbettes. Völlig k.o. und mit Ohropax ausgestattet schlief ich sofort ein. Meine Freude über den gekühlten Schlafsaal wehrte leider nicht allzu lange. Mitten in der Nacht wurde ich wach, da ich zur Toilette musste. Dabei bemerkte ich, dass die Luft unerträglich stickig und heiß war. Die Klimaanlage war tatsächlich aus. Unfassbar dachte ich. Die paar geöffneten Fenster an den Seiten der Herberge brachten bei der Masse an Leuten gar nichts. Als ich den Flur betrat, kam mir direkt ein kalter Luftzug entgegen und ich spielte tatsächlich ganz kurz mit dem Gedanken, mich mit meinem Schlafsack auf die unbequeme Holzbank im Vorraum der Herberge zu legen. Zurück von der Toilette verwarf ich den Gedanken jedoch, da ich am nächsten Morgen nicht mit Rückenschmerzen in die nächste Etappe starten wollte. Also hieß es Augen zu und durch. Ich kletterte zurück in mein Etagenbett und versuchte zu schlafen. Auf meinen Schlafsack konnte ich bei der Bullenhitze getrost verzichten.
Hallo Stephan,
wie immer schön geschrieben und unterhaltsam erzählt. Wirklich auch eine Energieleistung in der Hitze und zusätzlich extrem gewöhnungsbedürftig, in einem Schlafsal mit so vielen Menschen zu schlafen.
Kannst du nicht einmal eine Karte „posten“ mit all den Stopps, die du gemacht hast. So hat man eine unmittelbarere geographische Vorstellung vom Verlauf des Weges!?!
Vielen Dank!
Ulli
Hallo Ulli, vielen Dank für dein Feedback. Ich verlinke dir hier einmal die Karte zum Weg.
Karte Jakobsweg
Viele Grüße
Stephan