Tag 10: Santo Domingo de la Calzada – Belorado

Alles wie gehabt, es ging wieder früh los, so wie an jedem Morgen. Aber eine Sache war trotzdem anders. Nachdem ich mich in der Herberge fertig gemacht hatte und bereits ca. zwei Kilometer davon entfernt war, bemerkte ich, dass ich meine Bauchtasche in der Herberge vergessen hatte. Ja genau, das Teil wo mein Geld, mein Ausweis, meine Visa Karte drin war. Verrückt, da ich mich gestern noch mit einer Pilgerin darüber unterhalten hatte, wann ich wohl zum ersten Mal etwas in einer Herberge vergessen werde und es erst drei Tage später merken würde.

„Scheisse!“ dachte ich und nachdem ein eiskalter Schauer meinen ganzen Körper durchzog, machte ich auf dem Absatz kehrt und ging so schnell ich konnte zur Herberge zurück. Fast alle Pilger, die mir jetzt entgegenkamen, sahen mich mit verwunderten Augen an. Niemand ging von Santiago weg in die andere Richtung des Weges. Diese knapp zwanzig oder dreißig Minuten Ungewissheit fühlten sich an wie eine Ewigkeit. Was ist, wenn die Bauchtasche nicht mehr am Kopfteil des Bettes war, da wo ich sie nach Möglichkeit immer befestigte, bevor ich zu Bett ging?? Es schossen mir zig Gedanken durch den Kopf. Meine Reise wäre wohl hier und jetzt beendet gewesen wenn sie nicht mehr da wäre. Mich hätten Behördengänge erwartet und keine weiteren Wanderungen. Der Traum in Santiago anzukommen würde sich nicht erfüllen.

Ich erreichte die Herberge und rannte fast schon zu meinem Bett. So gut wie alle Pilger hatten den Schlafsaal bereits verlassen. Jetzt schnell zum Kopfteil und das Kissen weggezogen. Da hang sie, meine Bauchtasche. Genauso wie ich sie festgemacht hatte. Meine Erleichterung war grenzenlos. Ich atmete mehrmals ganz tief durch und war einfach nur dankbar. Ich hätte es in Kauf genommen, wenn mir Geld gefehlt hätte, weil es jemand in der Not gebraucht hätte. Aber wenn meine Papiere weg gewesen wären, hätte diese Reise hier und jetzt ein Ende gefunden.

Nach der riesigen Erleichterung ging es wieder zurück auf den Weg. Die Strecke war an diesem Tag fast Nebensache nach der Aufregung und den Sorgen am Morgen. Nachdem ich Santo Domingo verlassen hatte, überquerte ich das ausgetrocknete Flussbett des Rio Oja. Am Randstreifen der N-120 entlang ging es weiter, bis ich in einen Feldweg abbiegen konnte. Dieser zog sich entlang der Autobahn. Mit einem Mal erstreckte sich ein riesiges Sonnenblumenfeld vor meinen Augen. Das allein war schon ein Wahnsinns Anblick. Doch nicht nur das. Bis weit in das Feld rein, waren alle Sonnenblumen mit Initialen oder kleinen Botschaften verziert. Der Camino verlief eine ganze Weile parallel zum Feld. Eine wohltuende Ablenkung zur Autobahn und gleichzeitig Balsam für die Seele, immer wenn ich eine tolle oder liebe Botschaft entdeckte.

bis weit in das Feld hinein konnte man etwas „Geschriebenes“ entdecken

Als ich das Feld hinter mir ließ, erwarteten mich jedoch wieder sehr karge Landschaften und abgeerntete Weidefelder. Ich erreichte die Region Castilla y León / Provinz Burgos. Im Frühjahr sah es hier bestimmt ganz toll aus, wenn alles grün und saftig erstrahlte. Jetzt offenbarten sich mir allerdings Felder auf denen sich die hohen Strohhaufen türmten.

aufgetürmte Strohballen am Weg

So wie gestern auch, stoppte ich öfter um die kurze Zeit zur Erholung und Regeneration nutzen zu können.  Ich durchlief viele kleine Ortschaften, in denen es sich anbot immer mal kurz zu verweilen um den Akku aufzuladen. Bereits um kurz vor 14 Uhr erreichte ich mein Tagesziel, Belorado. Auf dem Kilometerzähler meiner Uhr erschien die Zahl 22. Als ich den Ort erreichte und gerade an der ersten Herberge vorbeilaufen wollte um ins Zentrum zu gelangen, hörte ich eine Stimme die meinen Namen rief: „Stephan, komm hier hoch, es gibt einen Pool!“ Verwundert schaute ich nach oben, da die Herberge auf einer Anhöhe lag. Es war Louise die mir zurief. Sehr unglaubwürdig entgegnete ich ihr: „Verarsch mich doch nicht“ :-). Doch sie bestärkte ihre Aussage und so stoppte ich und ging den Weg nach oben.

Mein Blick schweifte über die Anlage und ich konnte es kaum glauben. Da war ein kleiner aber feiner Pool mitten im Grünen neben der Herberge und dem Restaurant. Heute Morgen hätte ich mit allem gerechnet und auch, dass mein Weg eventuell enden müsste und jetzt belohnte mich der Camino mit dieser herrlichen Anlage, die ich völlig übersehen hätte, wenn Louise mich nicht beim Vorbeilaufen aufgehalten hätte. Ich überlegte nicht lange und checkte ein, kümmerte mich kurz um meine durchgeschwitzten Anziehsachen und suchte sofort wieder den Weg zurück in den Garten. Julius, Chris und Ivan erreichten die Herberge ebenfalls kurze Zeit später. Bei stahlblauem Himmel und ca. 25 Grad ließen wir uns nieder und genossen gemeinsam den ganzen Tag am Pool. Ab jetzt folgte eine Runde Sangria nach der Nächsten. Die Bilder, die ich jetzt nach Hause schickte, glichen Urlaubsfotos und von einem anstrengenden Pilgerweg konnte man hier nichts zu erkennen.

Badewetter in Belorado

Der Nachmittag verging so natürlich wie im Flug. Wir genossen das Wetter und die Abkühlung im Wasser im ständigen Wechsel. Als so langsam die Dämmerung einsetzte, gingen wir alle in die Herberge um uns für das Abendessen fertig zu machen. Kurze Zeit später trafen wir uns im Restaurant wieder um unseren Hunger mit einem traditionellen Pilgermenü zu stillen. Für nur 11 Euro bekamen wir eine reichliche Auswahl an tollen Speisen und der Region angemessen natürlich auch noch einen schmackhaften Rotwein.

klassisches Pilgermenü in Belorado

Nachdem wir uns alle satt gegessen hatten setzte auch so langsam die nötige Bettschwere ein. Der Stress von heute morgen war längst vergessen. So suchte ich mein Bett auf und schlief ein wie ein Stein.

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