Tag 29: Santiago – Vilaserio

Nachdem ich ja gestern fast „ausgeschlafen“ hatte, ging es heute Morgen wieder recht früh los. Schon um halb 7 verließ ich das Hostel. Gerade auf den ersten Kilometern musste ich noch an den gestrigen Tag denken. Wie schön es war, dass wir das gemeinsam erlebt hatten und auch die Traurigkeit, die ich spürte, als ich mich von Bea verabschiedete. Kurz nachdem ich diesmal ohne Probleme aus der Stadt heraus fand, ging es wieder mal leicht bergauf. Als ich den kleinen Anstieg gemeistert hatte, blieb ich stehen, drehte mich um und warf noch einen letzten Blick auf Santiago. Es war leider noch zu dunkel und ich schon zu weit entfernt, um noch ein taugliches Foto von der Stadt machen zu können…

Ein paar Meter weiter, entdeckte ich am Wegesrand einen Korb. In diesem lagen frische Feigen aus eigenem Anbau für die Pilger, die vorbeizogen… Auf dem ganzen Weg gab es immer wieder kleine Gesten oder Gaben durch die Einheimischen, selbstverständlich immer auf Spendenbasis. Mich faszinierte dies auf dem gesamten Weg und Feigen hatte ich bisher noch nicht gegessen:-) So ließ ich eine kleine Spende da und griff zu.

Der Weg führte mich weiter durch ein paar schöne Waldpassagen. Es war noch ziemlich kalt in den ersten Stunden. In der Nacht hatte der Himmel aufgeklart und auch am Morgen war noch keine einzige Wolke zu entdecken. Ich lief durch ein paar kleinere Orte. Die Bauernhöfe schien ich hinter mir gelassen zu haben. So sehr ich es auch zu Anfang genossen hatte, hier entlang zu kommen, so sehr ekelte es mich jetzt an, den säuerlichen Duft des gegährten Heus in den Ballen schon von weitem zu riechen. Ja ich dachte zwischenzeitlich wirklich, dass ich mich übergeben müsste… Seitdem ich in Galizien war, ging ich halt täglich an mehreren dieser Höfe vorbei…

Wenn ich durch die kleinen Orte ging, wartete vor vielen Häusern und so gut wie an jedem Bauernhof ein Hund der dort nicht angebunden rum lief. Die allermeisten waren super lieb, dösten vor sich hin und kümmerten sich nicht um vorbeiziehende Pilger. Für sie war es ein gewohnter Anblick. Leider hatten nicht alle Hunde ein so entspanntes Leben und waren angekettet oder eingezäunt. Eines Morgens wurde ich so dermaßen erschreckt, als ich an einer Mauer entlang lief und mich wie aus dem Nichts mehrere Hunde laut anbellten. Meine Schritte hatten mich verraten. Es war noch dunkel wegen der Mauer konnte ich sie nicht sehen. Ein regelrechter Blitz durchfuhr meinen Körper als dieses tiefe Bellen ertönte und ich mich dachte, das können keine kleinen Hunde sein… Wie erstarrt blieb ich stehen. Als ich langsam weiterging, sah ich wie an der Ecke der Mauer vier große Hunde auf mich warteten, ihre Vorderfüße auf dem Sims hatten und mich ununterbrochen laut anbellten. Die Mauer war locker zwei Meter hoch, daher musste es auf der anderen Seite eine Erhöhung geben. Leicht panisch ging ich weiter, auch in der Hoffnung, dass sie nicht auf die Idee kamen über die Mauer zu springen. Einige Meter entfernt war ich sichtlich erleichtert. An den Moment und die Geräuschkulisse kann ich mich auch heute noch sehr gut erinnern…

Als ich den Schreck verdaut hatte und den nächsten Ort erreichte, gönnte ich mir erstmal einen Kaffee. Nach der wohltuenden Pause, in der mein Puls wieder Normalform erreichte, ging es dann alsbald weiter. Beim Weitergehen bemerkte ich etwas völlig Neues noch nie Dagewesenes auf dem Weg… Zum allerersten Mal kamen mir jetzt auch Pilger entgegen. Klingt nach einer Banalität, aber wenn man quasi vier Wochen nur Menschen traf, die in die gleiche Richtung gingen, war das hier etwas ganz Besonderes. Pilger, die von Muxia oder Finisterre auf dem Weg nach Santiago waren…

Für mich war es heute mal wieder ein entspannteres Pilgern. Wie ich euch ja schon erzählt hatte, waren die letzten Tage von Sarria bis Santiago die reinste Heuschreckenwanderung, weil einfach so viele Menschen auf dem Stück unterwegs waren. Hier und jetzt konnte ich die Landschaft, das Wetter, die Ruhe und die Menschen wieder genießen…

Auch die Landschaft veränderte sich wieder, je weiter ich in Richtung des Meeres ging. Zack, auf einmal stand da eine Palme 🙂 Es war die erste, die ich entdeckt hatte auf dem Weg…

Etwas später stand ich dann auf der gotische Brücke bei Ponte Maceira. Sie überspannt dort den Rio Tambre. Von der Brücke aus hatte ich einen ganz tollen Blick über den Fluss und lauschte den Klängen des plätschernden Wassers. Warum erzähl ich euch das jetzt?! Tja, es klingt auch hier nach einer Kleinigkeit, aber mir wurde in dem Moment erst wirklich bewusst, wie grün es in Galizien doch war, im Vergleich zu den Regionen vorher. Genau das genoss ich jetzt gerade und verweilte eine Zeit auf der Brücke…

Da ich nur eine Pause gemacht hatte (ihr wisst schon, um meinen Puls wieder runter zu fahren) und ich mich wie gesagt, sehr gut fühlte, völlig erreichte ich ohne weiteren Zwischenstopp und völlig schmerzfrei Negreira nach knapp 22 km. Endlich Zeit für ein Frühstück, wobei man dies nicht mehr als solches bezeichnen konnte, da ich bereits über vier Stunden unterwegs war und meine Uhr kurz nach elf anzeigte. Ein Käsebaguette und ein Café con leche sollten als Stärkung ausreichen. Für mich an der Stelle auch etwas überraschend, dass ich auf ein Bier verzichtete 🙂 noch…

Mein Schienbein hatte sich durch den Ruhetag in Santiago sichtlich erholt, sodass ich heute quasi in einem Rutsch bis hierher kam. Der Wanderführer schlug Negreira als Etappenziel vor. Dafür würden es dann in den nächsten beiden Tagen noch einmal über 33 bzw. 31 km werden… mmmmhhh, dachte ich… da könnte ich doch heute locker ein paar km zusätzlich machen. Fühlte mich gut und es war auch erst mittags. So warf ich einen weiteren Blick in mein Buch und den Verlauf des Weges. Nach kurzer Überlegung erklärte ich den Ort Vilaserio als mein heutiges Tagesziel. Das bedeutete gleichzeitig, dass ich ab jetzt noch gute 12 km vor mir hatte… Schuhe geschnürt, Rucksack auf und es ging weiter. Den Blick nach vorn, aber auch immer mal nach unten gerichtet 🙂

Gute drei Stunden später erschien das kleine Dorf Vilaserio dann vor mir als ich ein Waldstück verließ. Bereits auf dem Weg dorthin hatte ich mich per Google Maps schon über mögliche Herbergen informiert und mich für die Casa Vella entschieden. Als ich dort ankam und den Eingangsbereich betrat, wurde mein bisschen Spanisch ziemlich auf die Probe gestellt, da die Besitzer kein einziges Wort englisch sprachen… Naja, das Wichtigste nach einem freundlichen „buenos tardes“ war schnell geklärt. Ich ließ meinen Rucksack vor dem Haus auf den Boden plumpsen und trug mich im Inneren in das Gästebuch ein. Tatsächlich war ich heute der erste Pilger hier 🙂

Wenn ihr eine Minute Zeit habt, schaut euch mal den Link zur Herberge an. Neben Belorado, ihr wisst noch, die Herberge mit dem Pool im Garten 🙂 war das hier ein weiteres richtiges Highlight. Casa Vella war ein Schmuckstück, so wie sich die Anlage präsentierte.

Nach den knapp 34 km bezog ich kurz mein Bett, sprang unter die Dusche, machte rasch meine Wäsche und ließ mich dann mit einem kühlen Bier im wunderschönen Garten der kleinen Herberge nieder. Hier könnte man ohne Probleme ein paar Tage länger bleiben, dachte ich… So urgemütlich mit ein paar Hühnern die hier und da auch rumliefen…

Das Wetter war einfach der Kracher. Anfang Oktober und das Thermometer schaffte noch locker die 30 Grad Marke. Unter einem großen Baum auf der Wiese fand ich im Liegestuhl einen tollen Platz. In der prallen Sonne hätte ich es nicht ausgehalten…

Meine durstige Kehle wurde an diesem Nachmittag regelmäßig mit einem kühlen Bier von innen befeuchtet. Das „un cerverza por favor“ kam mir doch recht flott über die Lippen… Beim Blick auf die Preistafel erklärt sich auch warum 🙂

An Kaffee oder Rotwein war in der Nachmittagssonne nicht zu denken:-). So genoss ich die Zeit im Garten, machte mir einige Notizen in mein Tagebuch und schrieb die ein oder andere WhatsApp Nachricht…

Gegen 19.30 Uhr würde es Abendessen geben, so erfuhr ich zwischendurch. Blieb also noch genug Zeit zu chillen. Ein weiterer Gast betrat das Anwesen und er war nicht allein… Jorge aus Madrid näherte sich mit seinem Border Collie „Huella“ und ging auf den Eingangsbereich der Herberge zu. Nach einem lockeren „hola“, kamen wir im englisch/spanisch Mix schnell ins Gespräch. Als ich in fragte, was er beruflich macht, erzählte er von seiner Hundepension und dass er jetzt mit seinem eigenen Hund auf dem Jakobsweg unterwegs sei. Als ich seinen Worten so lauschte, dachte ich welch coolen Job der Bursche doch hat. Er konnte den Camino leider nur zwei Wochen am Stück gehen, da die Pension für die Zeit geschlossen werden musste und er somit auch kein Geld verdiente. Völlig ins Quatschen vertieft, verpennten wir fast das Abendessen. Jorge aß jedoch nicht mit was ich sehr schade fand. Er blieb bei Huella und hatte im Vorfeld für sie und ihn eine Kleinigkeit zum Abendessen besorgt. Welch tolle Beziehung er zu der Hündin hatte, dachte ich.

Vor dem Abendessen trafen tatsächlich noch weitere Pilger ein. Josef und Marc aus Frankreich, sowie Anymade und Jonny aus Dänemark. Nein, ich habe mir die Namen nicht ausgedacht, sie hießen wirklich so… Wir trafen uns alle am großen Tisch zum Abendessen. Unter uns entstand eine sehr gesellige und lustige Unterhaltung über das was alle bis hierher erlebt hatten. Josef und Marc z.B. waren bereits in Le Puy gestartet. Dort war der Weg bekannter unter dem Namen Via Podiensis. Die beiden hatten bis hierher schlappe 1.500 km hinter sich. Was für eine Strecke… Zur Erklärung, Josef und Marc waren ein fortgeschrittenes Semester und beide so um die 60 Jahre alt. Ich fragte sie warum sie sich das antun würden ??? Also nichts gegen das Pilgern, schon klar, aber es war schon gewaltige Strecke… Naja, sagte Marc, wir haben jetzt die Zeit und außerdem müssten wir mal von unseren Frauen weg:-)

Ich musste lachen. Beide hatte ich schon einmal getroffen. Da wirkten sie jedoch eher unsympathisch auf mich. Wie der erste Eindruck manchmal täuschen kann! Jetzt hier am Tisch hatten wir tolle und lustige Gespräche, natürlich alles auf englisch :-). By the way, das zubereitete Essen schmeckte fantastisch. Zur Vorspeise gab es eine Kürbissuppe, zum Hauptgang etwas Fleisch mit Salat und zum Nachtisch Apfelmus. Wir waren uns alle schnell einig, dass wir einen Wein zum Essen trinken wollten… So bestelle ich eine Flasche dazu. Und wieder passierte etwas Neues… Zum ersten Mal überhaupt, wurde uns der Wein getrennt berechnet. Naja, was solls dachte ich. Es war ein fantastischer Abend. Alle hatten eine Menge Spaß und wir haben uns toll amüsiert. Jonny und ich übernahmen den Wein. Es wurde auch Zeit in die Falle zu gehen. Wir verabschiedeten uns voneinander und jeder verschwand nach und nach in sein Bett.

Eine Antwort auf „Tag 29: Santiago – Vilaserio“

  1. Oh ja, das mit den bellenden Hunden in mediterranen Gefilden kenne ich… Ich erschrecke mich jedes Mal zu Tode. Und gerade bei größeren Hunden dann immer die innerliche Frage „Macht der Kerl gerade nur seinen Aufpasserjob oder ist das ’n echter Aggro-Typ?“

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