Nachdem ich mit einiger Mühe doch noch etwas Schlaf bekommen hatte in der Affenhitze, begann der Tag kurz nach dem Aufwachen auch direkt wieder mit Stress in der Herberge. Durch das Licht und das Gewusel der ca. 80 – 90 Pilger wurde ich abrupt wach, da sich gefühlt alle zeitgleich fertig machten und die wenigen Toiletten und Waschräume aufsuchten. Mit etwas Glück konnte ich mich schnell durch dieses Chaos an Menschen kämpfen und sah zu, so schnell es ging Meter zu machen. Den morgendlichen Gang zum Klo ließ ich sausen, was mir, wie ihr euch sicher denken könnt, sehr schwer fiel. Aber die Schlange vor der Toilette war einfach nicht mehr normal und das Warten hätte bei mir womöglich für ein Unglück gesorgt :-). So hoffte ich in der Nähe auf ein Café welches bereits offen hatte. Beim Verlassen der Herberge war mir klar, dass ich diese nicht so schnell vergessen werde…

Die ersten Meter waren wieder verwirrend, da sich mir der Weg nicht auf Anhieb erschloss und auch keine eindeutige Markierung zu erkennen war. Zum Glück entdeckte ich einige Meter weiter ein Café welches bereits geöffnet hatte und vor dem ein paar Pilger bereits ihren ersten Kaffee zu sich nahmen. So war mein dringendes Problem am Morgen direkt gelöst! Denkt ihr gerade an Situationen bei denen es euch ähnlich ergangen ist?! Diese Art der „Geschäfte“ sind auf dem Camino natürlich ein kleines Problem wenn man raus aus der Stadt oder dem Dorf ist, da es unterwegs nun mal keine Toiletten gibt. Für den allergrößten Notfall hatte ich eine kleine Rolle Toilettenpapier im Rucksack, die ich zum Glück nie benötigte. Sie erfüllte jedoch trotzdem ihren Zweck, da ich wusste, für so einen Fall gerüstet zu sein.
In Azofra gönnte ich mir nach knapp 1 ½ Stunden den ersten Kaffee dieses Tages. Schon nach dieser kurzen Strecke merkte ich wie die letzten Tage an mir gezerrt hatten. Meine Füße schmerzten. Also hieß es direkt raus aus den Schuhen, auch wenn ich noch nicht wirklich lange unterwegs war. In dem Moment beschloss ich ab jetzt mehr Stopps über den Tag verteilt einzulegen um mir und meinen Füßen zwischendurch die nötige Erholung zu gönnen. Nach der wohltuenden Pause ging es weiter auf Schotterwegen entlang der Getreidefelder, bevor es wieder einen langen Anstieg gab.

Der Plan mit der geringeren Belastung ging nur bedingt auf, als ich zwei Pilger vor mir entdeckte, die ihren eigenen, sowie einen weiteren Rucksack zwischen sich trugen. Dieser war an zwei Gehstöcken aufgehangen, die die beiden vor oder sich über den Schultern hielten. Der Rucksack baumelte beim Laufen so ziemlich hin und her. Als ich sie einholte, sprach ich sie an und erfuhr, dass eine Frau aus Amerika ihren Rucksack nicht mehr weitertragen konnte, da sie starke Rückenschmerzen bekommen hatte. So hatten es sich die beiden zur Aufgabe gemacht ihren Rucksack bis zur nächsten Stadt zu tragen. Die Aktion gab jedoch ein komisches Bild ab, da die Zwei unterschiedlich groß waren und der Rucksack so immer zu einer Seite rutschte. Kurzerhand erlöste ich den Kleineren der beiden vom Tragen. Der Gepäckträger an meiner Seite hieß Dora und kam aus Italien. Wir unterhielten uns beim Laufen so gut es ging auf englisch. Das Ganze war nämlich anstrengender als ich dachte. Nicht wegen dem Gewicht, sondern eher wegen der Koordination den Rucksack so zu halten, dass es für uns beide angenehm war. Nach ca. einer Stunde erreichten wir etwas verschwitzt die nächste Stadt, Cirueña. Hier konnten wir den Rucksack der Pilgerin in der Herberge ablegen und uns von der zusätzlichen Last befreien. Zur Belohnung gönnte ich mir selbst ein Cerveza. Dora ging direkt weiter. So trennten sich unsere Wege wieder.
Santo Domingo war von hier nur noch knapp 6 km entfernt. Nach der Pause in Cirueña erreichte ich bereits um kurz vor 13 Uhr mein Tagesziel. Die Etappe war wieder nicht besonders lang (20,8 km), aber für mich heute völlig ausreichend. Mein Weg führte mich trotz des erlebten Horrors vom Vortag direkt in eine große Herberge. Was soll ich euch sagen!? Diese Unterkunft war einfach ein Traum! Tolle Zimmer, große Waschräume. Alles super und überhaupt kein Vergleich zu gestern. Sie trug den tollen Namen: Casa de la Cofradía del Santo in Santo Domingo de la Calzada :-).
Der Camino nimmt und der Camino gibt…
Nach der Dusche und den üblichen Erledigungen zog es mich in die Stadt. Es war erst 15 Uhr und ich war super froh, dass der Tag noch so viele Stunden hatte, die man hier genießen konnte. Einige Pilger machten sich in der Küche der Herberge eine Kleinigkeit zu essen und kochten zusammen. Auf meinem Weg in die Stadt traf ich auf Julius und Louise, die nun auch so langsam mal in der Stadt eingetrudelt waren. Nachdem die beiden sich fertig gemacht hatten, verbrachten wir gemeinsam einen super schönen Nachmittag.
Als es Zeit für das Abendessen wurde, gingen wir zurück zur Herberge. Wir beschlossen mit einigen anderen Pilgern essen zu gehen, da es ganz in der Nähe ein kleines Restaurant gab.

Nach der kurzen Etappe und dem gemütlichen Abendessen wurde es für uns alle Zeit ins Bett zu gehen.