Tag 1: Saint Jean Pied de Port – Roncesvalles

Die erste Nacht im Hostel, so als wäre es das Normalste von der Welt mit fremden Menschen in einem Raum zu schlafen und eben nicht in seinen eigenen vier Wänden und im eigenen Bett. So zumindest erging es mir. Es war Montagmorgen. Nach dem Zähneputzen erwartete mich in der Küche ein kleines typisches französisches Frühstück mit Croissant und Kaffee. Da ich außer Bonjour die Landessprache nicht beherrschte, entstand ein Smalltalk auf Englisch mit den Pilgern die es verstanden. Jedoch waren nur wenige um diese Zeit noch hier, da es „schon“ kurz vor acht war. Ich wollte doch noch zum Postamt, welches erst um 9 Uhr öffnete. Da ich mit Handgepäck im Flugzeug angereist war, konnte ich das Taschenmesser, das mir durch die Packliste dringend empfohlen wurde, dort nicht unterbringen.

So hatte ich knapp drei Wochen vor meiner Reise ein kleines Paket zum Hostel geschickt indem sich neben dem Taschenmesser noch Sonnen- und Insektenschutz, sowie ein Desinfektionsmittel für die ersten Tage befand. Ich wollte doch vorbereitet sein auf dieses Abenteuer. Das besagte Paket kam jedoch nie im Hostel an und landete laut Sendungsverfolgung im Postamt von SJPDP. Vorher machte ich mich noch auf ins Pilgerbüro um meinen ersten Stempel für die „Credencial“, den sogenannten Pilgerausweis zu erhalten. Wie wichtig dieser Ausweis ist, stellt sich spätestens am Ende einer Pilgerreise heraus, nämlich dann, wenn man Santiago erreicht. Sheryl, eine nette ältere Dame, die an diesem Morgen im Büro arbeitete, wies mich ausführlich und in feinstem britischem Englisch sorgfältig auf die Gefahren der ersten Etappe über die Pyrenäen hin. Ich versuchte ihr aufmerksam zu zuhören, musste aber die ganze Zeit daran denken, dass ich doch endlich loswollte. Sie drückte mir noch ein paar Zettel mit diversen Informationen zum Weg und zu den Herbergen in die Hand. Bevor es jedoch wirklich die Berge hinauf ging wartete ja noch mein Paket im Postamt auf mich.

Noch ein schneller Kaffee in einem Café, bevor die Uhr dann endlich neun schlug. Das Postamt öffnete. Auf Englisch versuchte ich der guten Dame am Schalter zu erklären, dass hier eine Sendung für mich hinterlegt war. Da sie mich nicht wirklich verstand oder verstehen wollte, rief ich einen Arbeitskollegen in Deutschland an, der des Französischen mächtig war. Als er das Gespräch annahm, übergab ich der Frau mein Telefon. Ich verfolgte die angeregte Unterhaltung und erwartete bald ein Lächeln und ein Nicken bei der guten Dame. Meine Erwartung wurde leider enttäuscht, da am Ende herauskam, dass mein Paket nicht im Postamt war und diese Sendungsnummer auch von einer ganz anderen Gesellschaft stammte, die die Postfiliale überhaupt nicht beliefert. In meinem Blick erkannte man jetzt Ratlosigkeit.

Paket mir Utensilien für die ersten Tage welches nie in SJPDP ankam
Paket mit Utensilien welches nie in SJPDP ankam

Okay dachte ich, es nützt nichts sich jetzt darüber aufzuregen, dass ich ne gute Stunde mit Warten verplempert hatte. Jetzt sollte es doch endlich losgehen. Gesagt getan. Ich folgte dem auf einem meiner Zettel beschriebenen Weg raus aus der Stadt.

Schon bald wurde die Straße immer etwas steiler und ich ahnte so langsam was da am ersten Tag auf mich zukommen sollte. Voller Energie und Tatendrang bewältigte ich die ersten wenigen Kilometer, mit großer Wissbegierde diesen Weg zu erkunden. Ich überholte die ersten Pilger an diesem Morgen. Eine Reisegruppe bestehend aus vier Frauen zwischen 50 und Mitte 60 aus Heidelberg. Es entstand ein kurzer Smalltalk und so erfuhr ich, dass die Etappe für die Damen heute in Orisson enden wird. Dort gab es eine kleine Herberge am Wegesrand, welche ca. 8 km von SJPDP entfernt war. Ich ging weiter. Mein Ziel sollte heute nach knapp 25km der Ort Roncesvalles sein. Aus der geteerten Straße wurde nun teilweise eine platt getretene Wiese bzw. eine Geröllstrecke mit unbefestigtem Untergrund. Der Weg gewann weiter enorm an Steigung. Mir wurde verdammt heiß und ich kam mächtig ins Schwitzen. Meine Smartwatch riet mir dringend eine Pause einzulegen, da meine Werte nun dauerhaft weit über der Norm waren.

Nach knapp 2 ½ Stunden erreichte ich Orisson, den Ort, in dem die Damen aus Heidelberg heute stoppen würden. Ich befand mich nun bereits auf 800m Höhe, bei bestem Wanderwetter mit 20 Grad Außentemperatur und strahlend blauem Himmel. Richtig genießen konnte ich dies jedoch nicht, da ich völlig außer Atem war und ein paar Minuten brauchte bis mein Puls wieder einigermaßen Normalform hatte. Die ersten km waren so anstrengend, dass mein Shirt jetzt völlig durchgeschwitzt war und ich in Orisson die Gelegenheit nutzte, es bei einer Pause zu wechseln.

Mit neuer Energie ging es weiter den Berg hinauf. Als ich ein paar Meter von der Herberge entfernt war, wurde mein „Hallo“ beim nächsten Überholvorgang nicht wie gewohnt mit einem „Good Morning“ oder Bonjour erwidert. Nein, diesmal erhielt ich ein „Wie hallo?“ Etwas verdutzt von der Antwort stellten wir uns gegenseitig vor. Louise, so hieß eine der jungen Damen, die einen lustigen weißen Hut und eine bunte Brille trug. Sie stellte mir Janaja, eine Kanadierin, die genauer gesagt aus Calgary kam, vor. Beide hatten sich erst vor zwei Tagen auf dem Weg vom Bahnhof Bayonne nach SJPDP kennengelernt und spontan entschieden, gemeinsam auf den Camino zu starten. Für die beiden war es auch der erste Camino in ihrem Leben. Zwischen uns entwickelte sich ein lockeres Gespräch, wobei wir ab jetzt ständig englisch sprechen mussten, damit Janaja uns verstehen konnte. Wir gingen die nächsten km gemeinsam und trafen auf einen Italiener der mit einer kleinen Transportkarre reiste, um seinen schweren Rucksack nicht tragen zu müssen. Wir stoppten und er stimmte ein spontanes „O Sole Mio“ an. Louise begleitete ihn mit besten Absichten, auch wenn sie kein Wort auf Italienisch singen konnte.

O Sole Mio auf dem Weg nach Roncesvalles

Nach dem kurzen Duett gingen wir drei weiter. Der Weg verlangte uns nun wirklich alles ab. Die Steigung nahm sichtbar einfach kein Ende. Dafür variierte der Härtegrad ständig. So hatte ich mir das wirklich nicht vorgestellt an Tag 1, auch wenn ich mir den Wanderführer aufmerksam durchgelesen hatte. Ohne es direkt zu merken überschritten wir bei diesem Anstieg die spanische Grenze und verließen bereits am ersten Tag Frankreich. Ziemlich geschafft von der Tortur, erreichten wir bei immer noch bei bestem Wetter, den höchsten Punkt auf dieser Etappe, Col de Lepoeder auf 1.437m.

Col de Lepoeder auf 1.437m Höhe

Ein paar Meter auf dem Weg weiter gesellte sich Chris aus Koblenz zu uns. Da ihm nicht entgangen war, dass sich unsere kleine Gruppe auf Deutsch und Englisch unterhielt, kamen wir schnell ins Gespräch. Er begleitete uns bis zu unserem Tagesziel. In Roncesvalles folgte der Erleichterung angekommen zu sein, prompt der Ernüchterung, dass wirklich jedes der 218 Betten in der einzigen Herberge, dem Kloster für diesen Tag bereits vergeben waren. Wir waren einfach zu spät dran, es war nun bereits 17 Uhr. Unseren Stempel erhielten wir trotzdem, auch wenn wir hier nicht übernachten konnten.

Kloster Roncesvalles

Nach kurzer Diskussion mit den Herbergsvätern, teilte man uns mit, dass Taxen organisiert wurden, die uns zur nächstmöglichen Unterkunft bringen. Ein paar km weiter lag der Campingplatz Urrobi. Dieser nahm Pilger auf, die aus Platzgründen nicht in Roncevalles bleiben konnten. Wir erhielten unsere Zimmer mit mehreren Doppelstockbetten. Daran musste man sich ab jetzt gewöhnen. Erstmal raus aus den durchgeschwitzten Klamotten und ab unter die Dusche dachte ich. Unsere Anziehsachen mussten wir per Hand waschen. Diese landeten zum Trocknen auf einer Wäscheleine im Gebäude. Zum Abendessen, in dem kleinen Restaurant auf dem Campingplatz gab es Makkaroni mit Lachs. Wobei das fast Nebensache war, wir hatten einfach nur Hunger! Keiner der Pilger hatte nach dem ersten Tag und diesem langen Marsch noch Lust sich selbst zu versorgen, zumal wir in der Nähe auch keinen Supermarkt entdecken konnten.   So gab es erstmals ein sogenanntes „Pilgermenü“. Eine Vorspeise, ein Hauptgericht und Nachtisch, sowie Wein oder Wasser dazu. Wir ließen uns den Rotwein schmecken und mussten alles andere als auf dem Trockenen sitzen, da hiervon reichlich vorhanden war. Der Abend endete in geselliger Runde, bevor jeder hundemüde sein Bett aufsuchte.

Eine Antwort auf „Tag 1: Saint Jean Pied de Port – Roncesvalles“

Schreibe einen Kommentar