Tag 14: Hontanas – Fromista

Bereits um zwanzig vor sechs wurde ich wach an diesem Morgen… und das ganze ohne meinen vibrierenden Wecker am Handgelenk:-). Ich war unserem kleinen Schlafsaal der Erste an diesem Morgen. Mein Körper hatte sich in der Nacht nach dem gestrigen Marsch tatsächlich perfekt erholt. Nochmal umdrehen machte aus meiner Sicht keinen Sinn, da ich mich ziemlich ausgeschlafen fühlte. Aufstehen und fertig machen war die Devise. Eine knappe halbe Stunde später ließ ich Hontanas hinter mir. Auf der Straße konnte ich beim Verlassen der Herberge noch niemanden entdecken. Es war aber auch noch stockdunkel. Da es jedoch nur diese eine Straße gab, die aus dem Dorf heraus führte, stellten sich mir an diesem Morgen keine Fragen wo es denn lang gehen würde.

Es war noch ein gutes Stück bis Santiago…

Um trotzdem nicht vom Weg ab zukommen, oder gar falsch abzubiegen, leuchtete ich mit dem Handylicht vor mir her, sobald es nach dem Dorf über die ersten Feldwege ging. Nach gut 1 ¼ Stunden erreichte ich das Kloster von San Anton, besser gesagt die Ruine von dem was noch übrig war. An der Landstraße entlang ging es weiter bis ins Zentrum von Castrojeriz. Nach ca. einer halben Stunde hieß es dann wieder einmal bergauf zu laufen, Richtung Tafelberg, zum Alto de Mostelares.

Auf dem Weg zur Hochebene

Der Anstieg hatte es richtig in sich, es galt 12% Steigung zu überwinden. Am Horizont sah ich die Sonne aufgehen und das Gebirge erstrahlte rundherum immer mehr im Licht. Als ich den höchsten Punkt dann endlich erreichte, gönnte ich mir meine erste Pause. Die Aussicht von hier oben war sensationell weit. Das Auge bekam im September zu allen Seiten abgeerntetes Weideland zu sehen. Der Boden war pulvertrocken. Hier hatte es tage- oder wochenlang nicht mehr geregnet.

Abstieg nach Palencia

Kurze Zeit später ging es wieder bergab und auch dies war mehr als anspruchsvoll. Ganze 18% Gefälle waren zu meistern. Unten angekommen betrat ich die Provinz Palencia. Trotz der schönen Aussicht konnte ich diese tagelange Einöde nicht mehr genießen, sodass ich mir zur Ablenkung meine Kopfhörer ins Ohr stopfte. Während ich so dahin wanderte und mich über mein Smartphone mit etwas Musik beschallen ließ, hängte sich die Software plötzlich auf. Nichts ging mehr, das Display reagierte einfach nicht auf meinen Fingerdruck.

Also startete ich es neu. Zu Hause in Deutschland hatte ich kurz vor meiner Abreise noch meine PIN geändert. Warum wusste ich selbst nicht mehr so genau. Jetzt hatte ich einen Blackout und konnte mich nicht mehr an die geänderte Nummer erinnern. Was blieb mir übrig als es nochmal zu versuchen? Ich schaffte es tatsächlich dreimal die falsche PIN einzugeben. Oh mein Gott, dachte ich. Das kann alles nicht wahr sein… und ärgerte mich maßlos über mich selbst. Nun stand ich da, mitten in der Pampa und hatte weder Telefon noch Kamera in der Hand. Wieder einmal durchzog ein Schauer meinen ganzen Körper… Was mach ich denn jetzt??

Ein paar Meter weiter erreichte ich den kleinen Ort Itero de la Vega. Das erste Café im Ort war direkt meins. Nachdem ich meinen Rucksack abgestellt hatte, ging ich zur Bar und bestellte mir erst einen Café con leche und direkt danach ein Bier. Es war jetzt ca. 10 Uhr :-). Als ich einige Zeit so da saß und mir Gedanken machte, wie ich die Situation lösen könnte, sah ich wie Carolina aus Galizien, mit der ich aus Burgos los gelaufen war, ebenfalls das Café erreichte. Welch ein toller Zufall dachte ich! Sie könnte in diesem Moment meine Rettung sein. Ich ging auf sie zu und sie erkannte mich auch direkt wieder. Etwas beschämt erzählte ich ihr auf englisch von meinem Fauxpas. Sie lächelte und zögerte keine Sekunde, drückte mir ihr Handy in die Hand und sagte: „Ruf an wen du willst, kein Problem!“

Zum Glück konnte ich die Nummer vom Handy Laden in Bochum vorher noch mit Carolinas Smartphone „googlen“ und dann dort anzurufen. Ein Bekannter von mir, der dort arbeitet ging zum Glück direkt ans Telefon. Auch ihm erzählte ich meine etwas peinliche Story. Egal, dachte ich. Einfach erleichtert, dass er mir die PUK durchgeben konnte und sich so mein Handy wieder entsperren ließ. Ich umarmte Carolina und bedankte mich zutiefst bei ihr für ihre spontane Hilfe. Zu einem Getränk konnte ich sie nicht mehr einladen, da sie weiter wollte. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Noch in dem Café setze ich mich hin und schrieb mir die wichtigsten Telefonnummern in mein Notizbuch. Daran hatte ich vorher einfach nicht gedacht und mich allein auf mein Smartphone verlassen. Diese Situation war mir eine Lehre. Nach einer kurzen Pause und tiefem Durchatmen ging es dann für mich voll motiviert und bester Laune weiter.

Wieder die endlosen Weiten der Meseta

Hinter dem kleinen Ort erwarte mich jedoch wieder die volle Breitseite der Meseta. Endlos lange gerade Wege die ins Nichts führten. Trockene, heiße Luft und keine Ablenkung für das Auge. Es war bisher an jedem Tag so, dass mich der Camino anzog wie ein Magnet und ich „süchtig“ wurde weiter zu wandern. Diese Abschnitte jedoch waren immer eine mächtige Herausforderung für Körper und Geist.

Nach einer ganzen Weile erreichte ich Boadilla del Camino und nutzte die Gelegenheit für einen weiteren Stop. Ich entdeckte ein Restaurant mit einem sehr schönen Innenhof.

Restaurante En El Camino

Zur Stärkung gönnte ich mir einen gemischten Salat und ein kühles Bier. Der Besitzer konnte deutsch und sprach mich direkt in meiner Muttersprache an. Wir hielten einen kurzen Smalltalk. Das Essen und das Bier waren die reinste Wohltat. Als ich meine Pause gerade beenden und aufbrechen wollte, erreichten Tom und Lisa das Restaurant. Sie schauten mich sehr verwundert an, als ich ihnen sagte, dass ich noch weitergehen werde. Bis zu meinem Tagesziel hatte ich noch ca. 1 ½ Stunden vor mir.

Auf dem Weg nach Fromista

Der Weg ging nicht sehr abwechslungsreich weiter. Am Canal de Castilla entlang erreichte ich nach knapp 90 Minuten Fromista. Die Albergue Municipal war für neun Euro heute meine Unterkunft. Im Vergleich zu den letzten Herbergen war diese wieder etwas „heruntergekommen“ und nur sehr zweckmäßig eingerichtet. Allerdings hatte ich zum ersten Mal kein Stock- sondern ein Einzelbett im Schlafsaal. Nach dem Einchecken und den Waschungen suchte ich das nächste Restaurant auf. Ich traf seit langem keine bekannten Pilger und saß heute allein beim Essen. Ein ungewohntes Gefühl nach der ganzen Zeit. Ich hatte aber auch keine große Lust heute neue Leute kennen zulernen. Beim Essen merkte ich die Strapazen des Tages, da es am Ende dann doch 34,1 km wurden. Nach dem Essen und einem kurzen Spaziergang zum Supermarkt warf ich noch einen Blick auf die Iglesia de San Martin, bevor es mich in die Herberge zurück zog. Bereits um halb 9 lag ich mit geputzten Zähnen und Ohropax im Bett…

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