Tag 6: Estella-Lizarra – Torres del Rio

Heute ging es um kurz nach 7 Uhr los. Der Regen, der zum Abend eingesetzt hatte, hörte zum Morgen hin wieder auf. So fand ich wieder perfekte Bedingungen vor, um zu starten. Die Luft war herrlich frisch und klar. Wie angekündigt, wechselte ich meine Schuhe und trug nun die viel bequemeren und leichteren Sneaker. Ein großartiges Gefühl. Die Bergwanderschuhe hatten mich sicher über die Pyrenäen gebracht, waren aber für das flachere Gelände einfach überdimensioniert. Da diese nicht in den Rucksack passten, kamen sie kurzerhand von außen an selbigen. An zwei Karabinerhaken befestigt, schnürrte ich beide Schuhe fest zusammen, damit diese nicht beim Laufen hin und her baumelten. Der Weg zog sich fast durchgängig durch ebenes Gelände, entlang an einigen Straßen und abgeernteten Getreidefeldern. Ich dachte darüber nach, wie es wohl war im Winter oder Frühjahr zu pilgern und sich auf völlig andere Bedingungen einzustellen zu müssen. Dagegen hatte ich im Spätsommer schon fast perfekte Voraussetzungen, zumindest empfand ich das bis jetzt so. Beim Betrachten des Feldes kam mir der Gedanke ob sich hier etwa schon die Iberische Meseta ankündigte? Im Wanderführer hatte ich einiges darüber gelesen und auch einen gewissen Respekt vor diesem Teil des Camino.

herrliches Morgenpanorama als die Sonne aufging

Mein Wasservorrat vom Morgen ging nach ca. zwei Stunden dem Ende entgegen, als ich passenderweise einen Brunnen entdeckte. Auf die erste Freude folgte jedoch die Enttäuschung, da aus diesem kein einziger Tropfen mehr zu ergattern war. So ging es erst einmal ohne Wasser weiter.

Der Weg führte mich weiter durch einige Weinberge und auf gut zu laufenden Schotterwegen. Die Luft war trocken und die Sonne zeigte wieder einmal welche Kraft auch im September noch in ihr steckte, als sie bereits hoch am Himmel stand. Auf Sicht war jetzt weit und breit kein Ort zu erkennen. Ich wurde etwas unruhig und bekam so langsam richtig durst. Aber der Camino wäre nicht der Camino wenn er nicht immer wieder eine Überraschung bereithält. Wie aus dem Nichts erschien nach der nächsten Abbiegung eine kleine „Oase“. Ein Verkaufswagen mitten im Nirgendwo.

Ein Verkaufswagen mitten im Nirgendwo

Total erleichtert steuerte ich direkt darauf zu und ließ meinen Rucksack an einem Tisch auf den Stuhl plumpsen. Gerade in den ersten Tagen hatte ich das Gefühl, jedesmal wenn ich den Rucksack absetzte, wieder einige Zentimeter gewachsen zu sein :-). Ich war der Empfehlung gefolgt und schleppte täglich so ca. 10% meines eigenen Körpergewichts mit mir rum. Heißt im Umkehrschluss, dass mein Rucksack ca. 8,5 kg schwer war. Das Baguette, der O-Saft und der Kaffee schmeckten grandios und waren eine Wohltat nach den ersten Stunden. Ich befreite meine Füße von den Schuhen und legte diese erstmal hoch. Es verging eine ganze Weile. Ich beobachtete die vorbeiziehenden Pilger, als ich Julius und Janaja am Weg entdeckte. Sie kamen auf mich zu und ließen sich ebenfalls für eine Pause nieder. Wir genossen unser schattiges Plätzchen gemeinsam. Mit aufgefüllten Wassertanks ging es gemeinsam weiter. Als wir an einigen Weinbergen in der Region Navarra entlang kamen, konnten wir nicht widerstehen und griffen zu.

Süße Trauben am Wegesrand in der Region Navarra

Wir erreichten noch vor 12 Uhr mittags und nach knapp 23 km Los Arcos. Unbewusst hatten wir gemeinsam richtig gut Tempo gemacht auf den zurückliegenden Kilometern. Im Ort angekommen, fanden wir auf dem Marktplatz neben der schönen Kirche einen freien Tisch und ließen uns nieder. Julius griff zum Telefon und rief seine Eltern an um ein Lebenszeichen in die Heimat abzugeben. Ich nutzte die Gelegenheit, um am nächsten Geldautomaten meinen Bargeldbestand wieder etwas aufzufüllen.

Er beschloss es für heute gut sein zu lassen und blieb in Los Arcos. Mich zog es noch etwas weiter. So begleitete er mich ein Stück aus der Stadt heraus bis zu seiner Herberge und wir verabschiedeten uns. Janaja hatte sich ebenfalls schon vor mir auf den Weg gemacht. Auf dem Weg nach Torres del Rio schnappte ich mir ebenfalls mein Telefon und rief einen guten Freund in Bochum an.

Immer auf den gelben Pfeil achten. Auf dem Weg nach Torres del Rio

Meinen Erzählungen und Erlebnissen konnte er zwar folgen, sich aber selbst nicht vorstellen, sich täglich derartigen Anstrengungen zu unterziehen. Ganz zu schweigen von den Massenherbergen und der fehlenden Privatsphäre. Er bewunderte mich für das was ich tat. Noch vor Torres del Rio holte ich Janaja ein und wir erreichten gemeinsam den Ort. Nun waren es heute 30 km geworden und es war definitiv die richtige Entscheidung auf die Sneaker zu wechseln. Ich hatte viel weniger Schmerzen an den Füßen als in den vergangenen Tagen. Nach diesem Marsch entschieden wir uns direkt für die erste Herberge im Ort auf die wir zuliefen. Beim „Check in“ im Hostal Rural San Andres entdeckte ich im Innenhof einen Pool und ließ meinen Blick über die kleine Anlage schweifen.

Im Eiltempo bezog ich mein Bett und holte die Badeshort aus meinem Rucksack. Das Wetter war immer noch überragend.

Tom aus Osnabrück saß ebenfalls am Pool. Wir machten uns bekannt und tranken das ein oder andere Bier zusammen. Er war schon etwas länger auf dem Camino unterwegs und seine Tagesetappen waren wesentlich kürzer als meine. Es war mal wieder sehr angenehm sich auf Deutsch unterhalten zu können. Der Sprung ins kalte Nass war Belohnung für die heutige Wanderung. Der Nachmittag verging wie im Flug. Nach einiger Zeit spürte ich dann doch, dass mir der Weg in den Knochen steckte. Ich fühlte mich einfach körperlich platt. So verabschiedete ich mich von Tom, zog mich vor dem Abendessen aufs Zimmer zurück und haute mich ne Runde aufs Ohr.

Pünktlich zum Abendessen holte mich meine Uhr aus dem Schlaf und es ging in das Restaurant des Hostels. Neben mir und Tom saßen noch Pilger aus Dänemark und Frankreich am Tisch, sodass wir durchgängig englisch sprachen. So interessant es auch war, so anstrengend war es teilweise bei so vielen Leuten dem gesprochenen Wort folgen zu können und zu verstehen. Der Abend klang bei einem leckeren Essen und gutem Rotwein langsam aus.

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