Um kurz vor vier Uhr wurde ich wach, kurz bevor mich mein Armband aus dem Schlaf geholt hätte. Ich machte mich fertig und bestellte mir an der Rezeption ein Taxi. Keine fünf Minuten später stand das Auto vor der Tür. Zwanzig Minuten später erreichte ich den Aeroporto de Santiago. Das Terminal war fast noch menschenleer. In ein paar Minuten würde der Flughafen zum Leben erwecken… Da ich mein Ticket in der Tasche und nur mit Handgepäck reiste, ging es für mich direkt durch den Sicherheitscheck. Da dies ruck zuck erledigt war, hatte ich bis zum Abflug noch eine Weile Zeit und machte es mir, so gut es ging, im Warteraum bequem. Mein erster Flug startete um 06.50 Uhr, sodass wir bereits gegen halb 9 Palma de Mallorca erreichten. Jetzt hatte ganze vier Stunden Zeit, bis mein Anschlussflug Richtung Düsseldorf ging. Die Alternative wäre gewesen, über Madrid zu fliegen. Bei dieser Konstellation hatte ich jedoch nur 30 Minuten Umsteigezeit und ich wollte unter allen Umständen so einen Stress wie auf dem Hinflug in London vermeiden.
So hatte ich am Flughafen Zeit in aller Ruhe zu frühstücken. Beim Landeanflug auf Palma lernte ich Linda kennen. Sie war meine Sitznachbarin. Als der Flug in Santiago startete, waren wir beide jedoch so müde, dass wir erst kurz vor der Landung ins Plaudern kamen. Sie war auch gepilgert und zwar den Camino Norte, ein Wanderweg in Nordspanien, der fast ausschließlich an der Küste entlang führte. Nun blieb sie noch bis zum Monatsende auf Mallorca, um dort ihre Familie in einem Ferienhaus zu treffen. Danach reist sie zurück zum Bodensee, wo sie in einem Hotel arbeitete. Nach der Landung verabschiedeten wir uns kurz und gingen unserer Wege.
Nach dem Frühstück schlug ich die Zeit mit einigen YouTube Videos und Serien tot. Eine Stunde vor dem geplanten Boarding warf ich einen Blick auf den Monitor, um mein Gate ausfindig zu machen. Dort erschien jedoch eine Verspätung der Maschine aus Düsseldorf von einer Stunde. Naja dachte ich, halb so wild.
Leider blieb es nicht bei dieser einen Stunde und es kam immer eine weitere hinzu. Langsam machte ich mir Sorgen was denn da los sein kann. Seitens der Airline gab es keinerlei brauchbare Informationen, sodass unter den Reisenden die Gerüchteküche wild anfing zu brodeln.
Der Blick auf die Wetter App verriet mir derweil, dass ein heftiges Gewitter über dem Osten von Mallorca wütete und langsam Richtung Palma zog. Eine Stunde nach der nächsten ging ins Land. Es war bereits später Nachmittag. Ich versuchte zwischendurch etwas die Füße hoch zu legen und zu entspannen, was mir überhaupt nicht gelang. Meinen Nachbarn, die mich vom Flughafen in Düsseldorf abholen wollten, schrieb ich per WhatsApp, dass ich bisher so aussähe, dass ich entweder ganz spät Abend landete oder der Flug womöglich ganz gestrichen wird. Während wir so warteten, kam ich mit einer Frau ins Gespräch, die mit ihren zwei Kindern reiste. Sie erzählte mir davon, dass sie in Cala Ratjada, also im Osten der Insel ein Ferienhaus gemietet hatten. Also da, wo jetzt das Unwetter wütete. Sie machte sich sorgen, da ein Teil ihrer Familie noch da geblieben war. Wir unterhielten uns eine ganze Weile und so verging die Zeit… Zwischenzeitlich bekam sie die Info, dass bei der Familie alles in Ordnung sei.
Ganze sieben Stunden nach der geplanten Abflugzeit wurde unser Flug tatsächlich noch aufgerufen. Es war jetzt halb neun abends. Ich war hundemüde. Unsere Maschine war anscheinend defekt. So mussten wir auf die Ersatzmaschine warten, die von Manchester eingeflogen wurde. Der Himmel über Palma war mittlerweile tief grau und das Gewitter jetzt direkt über uns.
Als wir auf dem Rollfeld standen, hatte ich seit langem wieder Schiss beim Start. Es regnete heftig und die Blitze waren um uns herum gut zu erkennen… Die Maschine beschleunigte und hob ab. Mir kamen die Triebwerke lauter vor als sonst, vielleicht Einbildung… Nach fünf bis zehn sehr wackeligen Minuten hatten wir die Wolkendecke durchbrochen und flogen sicher Richtung Deutschland. Um kurz nach 23 Uhr hatte ich wieder Boden unter meinen Füßen…
Als sich die Türen hinter der Zollkontrolle öffneten, nahmen mich meine Nachbarn freudestrahlend in Empfang.
Mit diesen Worten endet mein Abenteuer Jakobsweg!
Ich danke euch allen für die Zeit, die ihr mir geschenkt habt!
Nachdem ich aufgestanden war, packte ich direkt meinen Rucksack. Zwei Tage lang konnte er einfach in der Ecke stehen, jetzt war es Zeit sich wieder auf den Weg zu machen… nach Hause! Ich verließ das kleine süße Zimmer und checkte mich aus der Pension aus. Bis zur Abfahrtszeit des Busses hatte ich noch genug Zeit, so ging ich zu Manuel zum Frühstücken. Außerdem musste ich noch eine Möglichkeit finden mein Flugticket ausdrucken, da ich mich nicht traute den Barcode mit dem geschrotteten Display zu nutzen. Im Ort konnte ich bisher keinen Copy Shop oder ähnliches entdecken, so sprach ich Manuel am Tisch sitzend diesbezüglich an. Er verwies mich an seine Frau Christine, da er „technisch“ nicht so versiert war. Als sie auf mich zukam, gab Sie mir in knappen Worten zu verstehen, dass sie das nicht mehr macht, weil einfach zu viele Pilger danach gefragt hatten. Sie schlug mir vor es in der Bücherei oder der Bar gegenüber zu erledigen.
Nachdenklich bestellte mir erst einmal ein ausgiebiges Frühstück mit Müsli, Kaffee und jaaaa… einem frisch gepressten Orangensaft. Wahrscheinlich vorerst dem Letzten, der einfach so gut geschmeckt hatte, an jedem einzelnen Morgen! Während ich beim Essen war, kam Christine erneut auf mich zu und drückte mir die Visitenkarte der Bar in die Hand. „Stephan, sagte sie, es ist eine Ausnahme! Schick mir dein Ticket per Mail zu, dann drucke ich es gleich im Büro aus“. Sehr erleichtert halte ich keine 15 Minuten später mein Ticket in der Hand und bedankte mich mehrmals bei Christine.
Nach dem Frühstück setzte ich mich für eine Weile an den Hafen, schaute mich noch einmal um, bevor der Bus um 11.45 Uhr eintrudelte.
Hafen von Finisterre, kurz vor der Abfahrt nach Santiago
Gute 1 ¼ Stunden später erreichte er den Busbahnhof von Santiago. Ich machte mich auf und suchte mein Hostel, in dem ich mein Bett bereits in Finisterre online gebucht hatte.
Nach dem Einchecken legte ich mich eine halbe Stunde hin, fühlte mich noch etwas platt. Danach ging´s aber direkt auf in die Stadt. Ich hatte zuvor mit Ivan getextet. Er war mit Louise, Maryn aus Amerika, sowie Dan aus Israel in einer Herberge im Zentrum untergebracht. Sie waren gestern in Santiago angekommen und ich freute mich riesig die alte Truppe hier nochmal treffen zu können. Julius war zu dem Zeitpunkt noch auf dem Weg nach Santiago. Er hatte sich eine Alkoholvergiftung zugezogen und musste daher zwei Tage Zwangspausieren:-). So traf ich die anderen in der Herberge und es ging gemeinsam in die Stadt. Alle hatten Hunger und wir entschieden uns nach Wochen mal wieder für einen Döner. Während wir uns unterhielten, kamen wir auf die Idee uns ein Tattoo als Erinnerung an den Camino stechen zu lassen. Eine Jakobsmuschel auf dem Arm oder Fuß…
Nach dem Essen bummelten wir gemeinsam durch die Gassen der Stadt, schlenderten an den Geschäften vorbei und ließen alle Eindrücke auf uns wirken. Als es früher Abend wurde, suchten wir den Vorplatz der Kathedrale auf, Julius müsste eigentlich im nächsten Moment durch den Torbogen kommen. Er wusste allerdings nicht, dass ich auch wieder in Santiago war. Ich stellte mich etwas abseits der Gruppe. Wenige Minuten sah ich ihn durch den Torbogen schreiten… Als die Gruppe ihn entdeckte, fielen sich alle in die Arme…
Ich schlich mich von hinten an und überraschte ihn. Sichtlich gelungen, was ich an seinem Gesichtsausdruck erkennen konnte. Damit hatte er nicht gerechnet… Wir fielen uns in die Arme und setzen uns kurze Zeit später in ein kleines Café in einer der vielen Gassen. Es gab viel zu erzählen. Er wird nach Alicante fahren um Darit zu treffen, ein junge Frau, die er auf dem Camino kennengelernt hatte. Bevor er sich ins Arbeitsleben stürzt, will er noch weitere Reisen unternehmen, wohin wusste er noch nicht genau… Das angesprochene Tattoo hatten wir uns nicht alle stechen lassen. Ich ließ mir mit der Entscheidung, welches Motiv es sein soll Zeit, bis ich wieder in Deutschland bin.
Es war bereits dunkel in Santiago. Der Abend neigte sich wohl oder übel dem Ende entgegen. Ich wollte nicht gehen, aber am nächsten Morgen wird mein Flieger um 06:40 Uhr abheben und ein paar Stunden Schlaf würden mir guttun. Es war so schön alle noch einmal wiederzusehen. Gegen Mitternacht zog ich los in mein Hostel und verabschiedete mich von jedem ausgiebig.
Die ein oder andere Träne konnte ich mir nicht verkneifen…
Nachdem ich gestern mega früh ins Bett gegangen war, um meinem Körper die dringend benötigte Erholung zu gönnen, wachte ich heute Morgen fast wieder topfit auf. Schon wahnsinn, dachte ich einerseits und war andererseits natürlich froh, so noch die Zeit in Finisterre genießen zu können. Der Blick aus dem Fenster verriet mir, dass das Wetter schon wieder hervorragend war. Auf gings zum Frühstück, natürlich in Manuel´s Restaurant am Hafen. In meinem Rucksack hatte ich bereits alle Sachen für einen Strandtag dabei. Da es Sonntag war, konnte ich mir leider kein Fahrrad ausleihen, also gings nach dem ausgiebigen Frühstück doch wieder zu Fuß zum langen Stadtstrand.
Als ich dort ankam, liefen mir Jorgé und seine Hündin Huella fast in die Arme. Das gibt´s doch nicht, dachte ich und freute mich, dass die beiden es auch bis hierher geschafft hatten! Wir unterhielten uns kurz über die vergangenen Tage als ich plötzlich hörte, wie jemand meinen Namen rief. Ich drehte mich um. Es war Gerd mit seiner Begleitung. Die beiden wollten ebenfalls zur Bar am Ende des Strandes.
Jorgé ging mit seiner Hündin Richtung Zentrum und ich schloss mich Gerd in Richtung Bar an. Dort angekommen, legte ich mich direkt in die Sonne, während die beiden es sich in der Bar gemütlich machten.
frisch war es… 🙂
Wenn man schonmal am Meer ist, muss man auch rein, klar… Der Fotograf war zum Glück schnell genug… 🙂 es war lausig kalt!
Als Jörg und Katrin ebenfalls an der Bar ankamen, gesellte ich mich zu ihnen und wir tranken alle gemeinsam ein Bier. Freute mich total, auch die beiden hier wiederzusehen. Im Verlauf des Tages ergänzten Theresia und Agnes aus Dänemark unsere Gruppe. So verbrachten wir dort alle zusammen einen wunderbaren Tag.
Als es später Nachmittag wurde, machte ich mich auf zurück zur Pension. Wir hatten beschlossen uns alle gemeinsam zum Sonnenuntergang am Leuchtturm zu treffen. Also sprang ich schnell unter die Dusche, machte mich fertig und begab mich zu Fuß in Richtung Leuchtturm. Am Hafen angekommen, entdeckte ich einen Bummelzug, der für ein paar Euro auf dieser Strecke pendelte. Leider war gerade zu der Zeit nicht da… Auch die anderen trudelten jetzt am Hafen ein und so gingen wir den Weg gemeinsam nach oben. Gegen halb acht waren da, die Sonne war zum Glück noch nicht untergegangen. Der Wind war frisch und pfiff uns ziemlich um die Ohren.
Am Café angekommen schnappten wir uns alle die ausliegenden Decken und machten es uns auf den Stühlen gemütlich. Eine Flasche Rotwein wärmte uns alle etwas von innen.
Die Sonne versank jetzt Stück für Stück im Meer… wir saßen einfach nur da und genossen den Moment. Es war mein letzter Abend in Finisterre. Sobald die Sonne komplett im Meer verschwunden war, wurde es auch schlagartig kalt hier oben. Wir verließen gemeinsam das Café, als wir sahen, dass die Bimmelbahn gerade losfahren wollte.
Entschlossen rannten wir auf den Fahrer zu und konnten ihn gerade noch stoppen. Mit nicht ganz so begeisterter Mine ließ er uns alle noch mitfahren. Geil, dass das gerade noch so geklappt hatte und wir nicht wieder die knapp 2,5 km zu Fuß gehen mussten. Unten angekommen suchten wir das Restaurant auf, indem ich mit Theresia am Freitag so gut gegessen hatte und hofften einfach, dass wir auch mit acht Leuten einen Tisch ergattern könnten.
Wir hatten Glück und nahmen alle zusammen an einem langen Tisch Platz. Der Abend verging wie im Flug als wir alle so gemütlich beisammensaßen und uns über die vergangene Zeit austauschten. Wirklich jeder war vom Essen, dem Wein und dem Ambiente in dem Restaurant schlichtweg begeistert.
Es war ein würdiger Abschluss am Ende der Welt. In dem Moment war ich unendlich dankbar für das was ich erleben durfte…
Meine Nacht war super erholsam. Richtig ausschlafen gelang mir jedoch überhaupt nicht, der Pilgerrhythmus der letzten vier Wochen steckte noch in mir. Also stand ich auch an meinem ersten „freien“ Tag recht zeitig auf. Nach der erfrischenden Dusche ging es in Flip Flops, Shirt und kurzer Hose zum Frühstück. Was für eine Wohltat für meine Füße, nachdem ich sie jetzt täglich in die Wanderschuhe gezwängt hatte… Ich suchte mir wieder das kleine Restaurant am Hafen aus, wo ich gestern schon aufgeschlagen war…
Das Wetter nahm sich heute eine Auszeit, der Himmel war wolkenverhangen und es tröpfelte leicht vor sich hin. Nach den vorherigen fantastischen Wochen ließ sich das jedoch leicht verschmerzen. Wie fast jeden Morgen stand bei mir auch heute wieder der frisch gepresste Orangensaft auf dem Tisch :-). Eine Sache wollte ich nach dem Frühstück jedoch noch erledigen… Mein Weg führte mich ins Pilgerbüro im Zentrum. Alle Pilger, die bis Muxia oder Finisterre weitergingen, erhielten hier noch eine weitere Urkunde für ihre Sammlung… Ja, auch ich hatte bock darauf mir diese abzuholen! Hier musste auch niemand anstehen, wie in Santiago… Es war ein kleines süßes Büro, indem mich eine junge Dame empfing. Nachdem ich meinen voll gestempelten Pilgerpass vorlegte, erhielt ich innerhalb von fünf Minuten das gute Schriftstück. Diese wanderte sogleich mit den Urkunden aus Santiago in die Aufbewahrungsrolle.
Die Fisterra erhalten alle Pilger, die von Santiago aus noch weitergehen
In der Rolle konnte ich alle Urkunden sicher aufbewahren
Sooooo… nun waren aber wirklich alle Formalitäten erledigt. Ich fühlte mich zugegeben ab diesem Moment „frei“… Jetzt wurde es Zeit für den Frisör. Meine Haare und mein Bart hatten es sich nach einem Monat verdient, geschnitten zu werden. Manuel, der Besitzer aus dem Restaurant am Hafen gab mir einen Tipp, wo ich mich wieder straßentauglich herrichten lassen konnte. Als gefühlt neuer Mensch verließ ich den kleinen Frisiersalon.
Hombre nuevo nach dem Besuch des kleinen Frisiersalons in Finisterre
Das Wetter klarte auf und ich entschied mich spontan zum Strand auf der anderen Seite der Stadt zu gehen. Wunderschön erschien dieser nach nur 15 Gehminuten vor mir. So verlockend es schien, war es gleichzeitig brandgefährlich hier einen Fuß ins Wasser zu setzen. Warnschilder wiesen darauf hin, dass die Unterströmung hier so stark wäre, dass das Baden zurecht verboten war.
Der Schein trügt, das Baden ist hier saugefährlich und deswegen verboten
Ich zog die Flip Flops aus und ließ meine Füße den Sand spüren als ich den Strand einfach ein paar Schritte entlang ging… Für mich immer noch unvorstellbare 900km hatten mich diese bis hierher gebracht, ohne eine einzige Blase. Im nächsten Moment schrieb mir Theresia. Sie war auch auf dem Weg zum Strand. Als sie eintraf, ließen wir gemeinsam die Seele baumeln und genossen wie die rauen Wellen immer wieder auf den Strand einprasselten. In der Sonne war es dazu herrlich warm. Jeder für sich ließ die letzten Wochen einmal Revue passieren…
Nach einer Weile trieb mich der Hunger zurück in die Stadt. Theresia blieb noch am Strand. In der Stadt angekommen, erkannte ich an der Promenade am Hafen aus der Ferne den Holländer wieder, den ich in den letzten Tagen immer wieder mal getroffen hatte. Er saß zusammen mit zwei anderen Pilgern am Tisch. Wir hatten uns auch einander vorgestellt, aber mir war der Name entfallen…
Ich fragte ob ich mich dazusetzen dürfte und erhielt von allen prompt Zustimmung. Gemeinsam bestellten wir eine Runde Bier und stießen selbstverständlich auf den Camino und das Geleistete an. Auf der Speisekarte entdeckte ich eine Paella. Endlich dachte ich. Wie lange wollte ich die schon essen seitdem ich in Spanien war. Die bestellte Portion ließ mich vor Freude erstrahlen. Zwischen den Meeresfrüchten konnte ich kaum Reis entdecken:-).
Die Paella in Finisterre war ein Traum
Nach einem weiteren gemeinsamen Bier löste sich unsere Gruppe auf. Im Supermarkt an der Ecke kaufte ich noch ein paar Kleinigkeiten ein, als ich bemerkte, dass ich mich von jetzt auf gleich körperlich schlechter fühlte und sogar Schüttelfrost bekam. Mein Körper hatte mich auf der gesamten Reise nie im Stich gelassen. An jedem Tag konnte ich los und musste nie „Zwangspausieren“ oder bin wirklich krank geworden. Jetzt, da ich am Ziel war, hat er das verdammte Recht, sich zu nehmen was er braucht… Ruhe und Erholung. Ich hörte auf die Signale und ging bereits am späten Nachmittag zurück zur Pension, legte mich ins Bett und schlief bis zum nächsten Morgen durch…
In der Nacht wurde ich ein paarmal wach.. hatte aber keinen klaren Gedanken dabei. Vielleicht wurde mir jetzt einfach bewusst, dass tatsächlich meine aller letzte Etappe ansteht. Richtig früh aufstehen musste ich sowieso nicht für die restlichen km, da ich die zwei Tage zuvor ordentlich Strecke gemacht hatte. Bis Finisterre waren es von hier aus gerade einmal noch 13 km. Um kurz vor acht stand ich auf, machte mich in Ruhe fertig und war einer der letzten Pilger in der Herberge. Das Wetter an diesem Morgen war wieder ein Traum, keine Wolke am Himmel. So verließ ich den kleinen Ort Meter für Meter.
Bucht von Cee am frühen Morgen
Als es dann doch wieder leicht bergauf ging, dachte ich, das muss jetzt wirklich der letzte Anstieg sein, ich war doch schon am Meer 🙂
In einem Moment bewunderte ich noch diesen fantastisch klaren Blick auf die Bucht von Cee um schon kurz darauf zu beobachten, wie ein Mix aus Wolken und Nebel den Blick Stück für Stück verschleierte…
spektakulär wie schnell sich das Bild änderte
Meinen ersten Stopp an diesem Morgen legte ich in Sardiñeiro de Abaixo ein. Ich wusste ja, dass es bis Finisterre nur noch ein Katzensprung war, so trank ich mit großer Gelassenheit schon nach einer Stunde unterwegs sein, meinen ersten Kaffee. Ich entdeckte ein kleines Café direkt an der Strandpromenade. Dieses war auf der anderen Seite direkt mit der Straße verbunden. Sardiñeiro selbst wirkte noch sehr verschlafen gegen neun Uhr morgens. Zum xten Male gab es für mich einen Kaffee, einen Orangensaft und ein Croissant :-). Bis zum heutigen Tag wurde ich dieses Frühstück nicht leid… Allein der frisch gepresste Orangensaft war jeden Morgen der Hammer!
Ganz allein saß ich in dem kleinen Café, weit und breit waren keine anderen Pilger auszumachen… Im Hintergrund lief der Fernseher mit den Nachrichten des Tages. Nach der kurzen Pause ging es weiter und nach all den Tagen entdeckte ich doch tatsächlich noch etwas Neues auf dem Weg. An einer steileren Straße, die etwas außerhalb von Zentrum lag, standen ältere Bewohner, vorwiegend Frauen vor ihren Häusern und warteten… Aber worauf nur!? Der Camino führte mich genau hier lang… Als ich ca. die Hälfte der Straße passiert hatte, erschien hinter mir ein kleiner Lieferwagen, aus dem ein Mann alle paar Meter ausstieg, um frische Brötchen an jedes dieser Häuser zu liefen… Mir gefiel der Service, auch weil die älteren Leute vielleicht nicht mehr die Gelegenheit hatten ohne fremde Hilfe in die Stadt zu kommen!
Das Wetter war zum Wandern heute Morgen wieder perfekt, leichte Bewölkung am Himmel, aber bei weitem nicht so kalt wie in den vergangenen Tagen. Nachdem ich die Anhöhe gemeistert hatte, ging es eine ganze Weile durch herrlich duftende Pinienwälder stetig bergab….
Und dann war es soweit… Nach weiteren zwei Stunden Gehzeit erreichte ich den breiten Sandstrand von Finisterre. Von hier aus waren es jetzt nur noch schlappe vier km bis ins Zentrum. Schwer zu beschreiben, was in diesem Moment alles in mir vorging… Zu aller erst war da dieser herrliche Blick auf den unendlich langen Strand…
Freude durchzog meinen Körper, so kurz vor dem Ziel zu sein, aber auch die Gewissheit, dass das Ende meiner Reise unmittelbar bevorstand… Ich verharrte dort, genoss diesen tollen Anblick und gleichzeitig die Ruhe die mich umgab… Einige Minuten später setzte ich mich wieder in Bewegung.
Ich überlegte erst die Schuhe auszuziehen um mit den Füßen im Wasser am Strand entlang zu laufen, nahm dann aber den schmalen Steg der vor mir auftauchte. Einige Meter weiter stieß ich auf einen kleinen Stand.
Ich musste stehen bleiben. So viele bemalte Jakobsmuscheln, von denen ich mir eine aussuchte und dem Künstler eine angemessene Spende hinterließ. Leider war von ihm weit und breit nichts zu sehen, aber ich freute mich über ein sehr schönes Andenken. Als ich den Strand hinter mir gelassen hatte und kurz vorm Zentrum war, stoppte ich nochmals für einen Kaffee. Ich wollte mir die Situation noch einmal bewusst machen tatsächlich angekommen zu sein. Es ging mir aber auch das durch den Kopf was ich einmal in einem Bericht gelesen hatte…
„Warte immer eine Weile vor deinem Zielort, damit deine Seele dich einholen kann“. Denn nur zu Fuß hält die Seele Schritt…
So nahm ich mir die Zeit, trank meinen Kaffee und blickte aufs Meer…
Beim Bezahlen holte mich dann wieder die Realität ein, als ich bemerkte, dass ich mein letztes Kleingeld gerade dem Künstler als Spende hinterlassen hatte. Mmmhhh, da war nur noch ein 20 Euro Schein im Portemonnaie. Leider konnte mir die Besitzerin des Cafés darauf nicht raus geben, da sie bisher kaum Wechselgeld in der Kasse hatte… So lud sie mich kurzerhand zu dem Heißgetränk ein. Mit einem Muchas Gracias bedankte ich mich vielmals bei ihr und machte mich auf die letzten Meter.
Ein paar Straßen weiter war es geschafft… Finisterre war erreicht! Gefühlt sollten doch jetzt Fahnen am Rand des Weges geschwenkt werden…:-P Nicht nur für mich, für alle Pilger, die bis hierhin kamen! Aber nichts dergleichen passierte…
Der Weg führte mich fast automatisch an der Pension Lopez vorbei, in der ich mich für drei Nächte einquartiert hatte. Ich checkte ein und hatte die Auswahl zwischen einem Zimmer im Haupt- oder Nebenhaus. Der Preisunterschied pro Nacht lag bei 10 Euro. So warf ich einen Blick in das Nebenhaus, welches nur zwei Minuten entfernt lag und entschied mich für die preiswertere Variante. Man was freute ich mich endlich wieder ein eigenes Bett zu haben. Es war nur ein kleines Zimmer, aber das war völlig ausreichend.
Unmittelbar nachdem ich das Zimmer bezogen hatte und meinen Rucksack auf den Boden plumpsen ließ, genehmigte ich mir eine Dusche, machte mich schnell frisch und ging in das kleine Städtchen am Ende der Welt. Ich musste jetzt nichts mehr waschen oder für den nächsten Tag vorbereiten. Ein fremdes Gefühl, so ohne Rucksack los zu ziehen… Als ob etwas fehlte… Auch wenn ich am Ziel war, musste das alles doch erstmal richtig sacken…
Kurz vorm Hafen entdeckte in an einer Ecke ein kleines Restaurant, wo mir ein Schild mit der Aufschrift „Weißwurst mit süßem Senf“ ins Auge sprang… Ich musste lachen. Na, wenn das keine Einladung war, sich hier nieder zu lassen. Es gab noch ein paar freie Plätze im Auenbereich, wo ich mich auch hinsetzte. Mich trieb jetzt nichts mehr. Zur Feier des Tages gönnte ich mir ein Schnitzel mit Pommes… ganz klassisch 😛 und wie geil das schmeckte! Maja und Theresia waren auch in Finisterre angekommen und gestellten sich etwas später zu mir. Nach einem kurzen Smalltalk beschlossen wir gemeinsam zum Leuchtturm zu gehen. Es waren ja „nur“ noch 2,5 km. Logischerweise ging es bergauf und auch diese Strecke zog sich noch einmal, bis wir leicht angeschwitzt den Leuchtturm erblickten. Die Sonne stand hoch am Himmel und nur vereinzelt zeigte sich hier und da eine Wolke.
Oben angekommen führte uns der erste Weg zum berühmten 0,00 km Stein. Überflüssig zu erwähnen, dass hier die Hölle los war. Jeder Pilger, der bis hierhin gegangen war, wollte allein oder mit anderen zusammen ein Foto mit diesem Stein ergattern…
mit langem Haar und vollem Bart angekommen in Finisterre
Die Gelegenheit durfte ich mir nicht entgehen lassen und so nutzte ich einen „freien Slot“ um auch mein Foto dort zu machen… 🙂 Wir drei liefen weiter bis wir einen sensationellen Ausblick auf den riesigen Atlantik hatten…
Etwas abseits des Leuchtturms befand sich ein kleines Café in dem wir auf der Terrasse einen Platz für uns ergattern konnten. Unseren Blick natürlich Richtung Sonne gerichtet. Als wir da so saßen, lernten wir Jean-Marie aus Belgien kennen, der ebenfalls dieses Fleckchen für sich entdeckt hatte. Wir tauschten uns über den Weg aus und was wir alles bisher so erlebt hatten auf den vielen Kilometern bis hierhin.
Als wir uns so unterhielten, kam auf einmal Gerd um die Ecke! Das gibt es nicht, dachte ich 🙂 schoss aus meinem Sitz und freute mich wahnsinnig ihn wiederzusehen… ich hatte überhaupt nicht damit gerechnet ihn hier noch einmal zu treffen. Wir fielen uns die Arme und seine Begleitung war so geistesgegenwärtig diesen Moment in einem Foto festzuhalten.
Er erzählte mir, dass er ab Santiago den Bus genommen hatte und konnte daher so schnell in Finisterre sein. Wir hatten uns das letzte Mal vor über zwei Wochen gesehen. Ein guter Moment um Anzustoßen. Wir bestellten gemeinsam eine Flasche Rotwein und schauten der Sonne beim Untergehen zu. Kurz bevor sie ganz verschwunden war, dachte ich mir, jetzt wäre der richtige Moment Papas Zigarre zu nehmen und diese oberhalb der Klippen anzuzünden. Sie hatte die Reise bis hierher gut überstanden und war mein ständiger Begleiter im Rucksack. Papa liebte das Meer… ihn hat es auch immer magisch angezogen… mit den Gedanken ihn an das Meer zu übergeben, rieselte Stück für Stück etwas Asche zu Boden… Dies wäre hier bestimmt sein Lieblingsplatz gewesen… Mach´s gut Papa!
Wunderschön versank die Sonne am Horizont als wir wieder gemeinsam in dem Café zusammensaßen.
Kurz darauf wurde es dann aber ruck zuck kalt, sodass es uns zurück in die Stadt zog. Theresia und ich beherzigten den Tipp von Jean-Marie doch einfach ein Auto anzuhalten, welches auf dem Weg nach unten war:-). Das dritte Auto hielt dann tatsächlich an… Auf der kurzen Fahrt nach unten, unterhielten wir uns mit dem spanischen Paar und waren im Nu wieder im Zentrum von Finisterre. Wir schlenderten durch die Gassen in Richtung Meer und entdeckten ein Restaurant welches von außen schon sehr nobel aussah. Spontan entschieden wir uns rein zu gehen und hatten Glück, da ein paar Tische noch ohne Reservierung waren. Beim Blick auf die Karte entdeckten wir einige, wenn auch kostspielige Leckereien… Heute durfte es mehr als ein Pilgermenü sein:-). Wir belohnten uns mit zwei tollen Gerichten. Theresia gönnte sich Schweinefleisch am Spieß hängend und für mich sollte es eine große Portion Thunfisch sein. Sooo lecker, was da vor uns auf dem Tisch stand. Die freundliche Kellnerin empfahl uns dazu den passenden Rotwein. Er passte perfekt dazu. Ein gelungener Abschluss eines fantastischen Tages.
Nach diesem grandiosen Essen und dem tollen Abend verließen wir das Restaurant und suchten beide unsere Unterkünfte auf. Genau in diesem Moment war der Akku meines Handys leer, sodass ich tatsächlich die Orientierung in dem kleinen Ort verlor. Theresia war leider schon zu weit weg… Der Zufall meinte es wieder gut mit mir, als mir im nächsten Augenblick Maja entgegenkam. Sie schaute auf ihr Smartphone und gab mir den entscheidenden Tipp in welcher Richtung meine Pension lag. Ein paar Minuten später stand ich in der besagten Nebenstraße und war zu Hause.
Noch einmal ging es früh los. Um halb 7 verließ ich die schmucke kleine Herberge. Soweit ich das erkennen konnte, war ich der erste, der die Unterkunft an diesem Morgen verließ. Als ich den Fuß aus der Tür raus setzte, merkte ich erst, wie lausig kalt es war. Die Wetter App zeigte für Vilaserio 6 Grad Celsius an. Trotzdem ging es mit Fleece Pully und kurzer Hose auf den Weg, auch weil ich kein Bock hatte, mir noch eine andere Hose anzuziehen 🙂
Nach den ersten Kilometern durch die kalte Morgenluft erstreckte sich sehr weit und flachhügelig das Hochplateau der Region Xallas (bekannt für Korbflechtarbeiten „Cesteria“, und ausgefallene Frauenhüte aus Stroh „Sombreros de paja“) bis zum Horizont vor mir.
In Santa Mariña nahm ich gegen 08.30 Uhr den ersten Kaffee zu mir, auch um mich von innen zu wärmen. Die Sonne zeige sich nun immer mehr am Horizont, aber spürbar warm wurde es bisher noch nicht. Weiter ging es, wie immer auch über kleinere Berge oder Anstiege. Wie immer? Nein, heute hätte ich vor einem Anstieg rechts abbiegen müssen. Den Hinweis musste ich völlig übersehen haben. Normalerweise ging es doch immer über den nächsten Berg… und wie oft hatte ich das in den letzten Tagen schon verflucht:-) ausgerechnet jetzt war es einmal anders und so landete ich 30 Minuten später mitten vor einem abgeernteten Feld. Niemand anderes war zu sehen. So ein scheiss, dachte ich und stand da mit meinem Talent. Nützte ja nix, ganz bis zur Abbiegung zurückgehen, wollte ich nicht mehr. So zückte ich mein Smartphone und folgte dem Pfeil quer über das Feld um wieder auf den Camino zu gelangen. Nach knapp 20 Minuten querfeldein und einigen hoch gewachsenen Wiesen war ich wieder auf dem richtigen Weg und ärgerte mich etwas über die verlorene Zeit… shit happens.
Hórreos heißen diese Maisspeicher, die im nordwestspanischen Galicien sehr oft vorkommen.
Nicht bedingt durch den Umweg, sondern weil sie in Galizien sehr oft vorkamen, entdeckte ich einen der vielen Hórreos, der sogenannten Maisspeicher. Viele von Ihnen waren bereits zerstört oder zerfallen. Dieses wunderschöne Exemplar schaffte es bei mir als Foto verewigt zu werden:-) Hintergrund für diese Bauweise waren die klimatischen Bedingungen im Nordwesten der iberischen Halbinsel. Regenmengen von bis zu 2000 mm/Jahr sind in Galizien nicht selten; die daraus resultierende hohe Luftfeuchtigkeit lässt die Vorräte bei schlechter Durchlüftung verrotten. Gleichzeitig dürfen aber keine Schädlinge (Mäuse, Ratten) durch die notwendigen Lüftungsöffnungen eindringen. Diese sind klein genug angelegt, um Vögel vom Lagergut fernzuhalten. Die Steinplatten bilden einen Überhang, der von den am Boden lebenden Nagern kaum zu überwinden ist.
Der extra Weg entschädigte mich dann aber auch noch mit einem tollen Ausblick über das weite Land…
Ich erreichte knapp drei Stunden nach meinem letzten Stopp in Santa Marina das Örtchen Olveiroa. Kurz vorm Ortseingang kamen mir einige Pilgergruppen entgegen, die zuvor mit dem Reisebus dort abgesetzt wurden.
Olveiroa war ein kleiner beschaulicher Ort, der mich einlud eine Pause zu machen. Zeit für eine Stärkung und den Füßen etwas Erholung zu gönnen. Mein Uhr zeigte mir an, dass ich bis hierher 26 km hinter mir gelassen hatte. Von hier aus waren es bis Finisterre noch knapp 31 km. Beim Essen entschied mich heute für Patatas bravas und ein kühles großes Blondes. Nicht das gehaltsvollste Essen, aber ich hatte bock drauf!
Ein holländischer Pilger den ich schon in den letzten Tagen immer mal wieder gesehen und kurz gegrüßt hatte, machte hier ebenfalls rast. Zwei Tische weiter saß noch ein etwas älterer deutscher Wanderer. Wir kommen gemeinsam ins Gespräch. Uwe, so heißt der Deutsche erzählte uns, dass er den Camino schon einmal bis Finisterre gelaufen war.
Er berichtete von seinen Erlebnissen und wir hörten ihm aufmerksam zu. Vor vier Jahren hatte er hier auf dem Weg seine jetzige Frau kennengelernt, sie war ursprünglich aus Dänemark. Mittlerweile verbrachte er die meiste Zeit des Jahres dort. Da ich Finisterre bald erreichen würde, fragte ich ihn nach einem guten kleinen Hotel oder einer Pension. Wie es der Zufall wollte, gab er mir direkt einen guten Tipp, um mich ein paar Tage einzuquartieren. Ich verließ mich einfach auf ihn und bat ihn dort für mich anzurufen, als er mir direkt erwiderte, „nein, kein Problem die sprechen dort deutsch“. Ich griff zum Telefon und reservierte mir ein Zimmer für drei Nächte in der Pension Lopez in Finisterre. Ich war erleichtert, dass ich mich bei meiner Ankunft nun nicht mehr darum kümmern musste. Bedankte mich bei Uwe und verabschiedete mich von den beiden, da mein Tagesziel noch ein gutes Stück von hier entfernt war, genauer gesagt waren es noch 18 km…
Der Weg war einerseits wunderschön, aber andererseits auch in der Mittagssonne wieder ziemlich brutal. Die Kälte von heute Morgen hatte ich längst vergessen und nun war ich froh, die kurzen Hosen anzuhaben. Es war affenheiß… Zum Glück hatte ich in Olveiroa auch meinen Wasserbestand wieder aufgefüllt.
Kurz vor Hospital, knapp 1 ½ Stunden nach dem ich Olveiroa verlassen habe, traf ich Josef und Marc wieder. Wir gingen ein Stück zusammen bis wir den Ort erreichten. Die beiden hatten hier eine Herberge reserviert und checkten ein. Die rüstigen Rentner hatten heute eine beachtliche Strecke von fast 30 km hinter sich gelassen… Respekt! Ich nutzte die Zeit für eine erneute Pause und genehmigte mir noch ein Bier:-). Gleichzeitig deckte ich mich mit einer großen Flasche Wasser ein, da das kommende Stück des Weges es sehr in sich hatte. 15 km lagen noch vor mir. Ich verabschiedete mich von Marc und Josef und ging wieder los. Der Abschnitt erinnerte mich unfassbar stark an die Meseta. Lange gerade Wege die ins nichts führten. Der Unterschied war, dass es hier links und rechts des Weges knallgrün war… Aber dem Auge wurden keine optischen Highlights geliefert. Es war hart sich motivieren, dazu brannte die Sonne von oben unerbittlich.
ab hier ging es entweder nach Finisterre oder Muxia…
Ich brauchte zur Motivation etwas Musik und stopfte mir die Kopfhörer ins Ohr. Kein Pilger, den ich überholte und keiner der mir entgegen kam… So kam ich einige km ganz gut voran, was jedoch nicht darüber hinweg täuschte, dass sich der Weg zog wie ein Kaugummi. Es wurde noch einmal so heiß, dass ich nach ewiger Zeit tatsächlich meinen Sonnenhut aus dem Rucksack kramte und aufsetzen musste.
Und dann war plötzlich alles vergessen…
Belohnung für so manche Strapaze auf dem Weg nach Cee
Vor einer leichten Rechtskurve, erblickte ich zum ersten Mal nach all den Tagen das Meer. Auf einmal war es einfach da… Was für ein sensationelles Gefühl… Ich blieb stehen und genoss für eine ganze Weile diesen wunderschönen Blick…
Die Glücksgefühle durchströmten meinen Körper und mit einem Mal war die Motivation zurück. Nach der Kurve ging es steil bergab. Dabei traf ich nach langer Zeit wieder einen Pilger bzw. eine Pilgerin. Zufällig auch noch eine Deutsche. Maja vom Bodensee. Sie wollte an diesem Tag auch bis Cee gehen. Etwas ungläubig schaute sie mich an, als ich ihr erzählte, dass ich heute Morgen von Vilaserio aus gestartet war und es bis Cee dann ganze 42 km sein werden. Während wir liefen und quatschen, merkten wir fast nicht, dass wir schon kurz vor Cee waren. Ich war heilfroh mein Etappenziel erreicht zu haben. Majas Herberge war bereits total ausgebucht, aber direkt schräg gegenüber fand ich noch ein freies Bett in einer anderen Unterkunft. Etwas ganz anderes als noch tags zuvor dachte ich, und musste an die schmucke Herberge in Vilaserio denken… Egal, ich war nur noch eine Wanderung von Finisterre entfernt. Nach der wohltuenden Dusche ging ich in den kleinen Ort und fand zentral gelegen ein schönes Restaurant. Nach der langen Etappe wollte ich schnell noch etwas Essen, bevor die Sonne unterging.
Der Salat in Cee war mega 🙂
Ich genoss die letzten Strahlen der untergehenden Sonne, bevor sie hinter einem Berg verschwand. Nun wurde es auch wieder schlagartig kalt. Theresia meldete sich per WhatsApp bei mir. Sie hatte heute stolze 46 km zurückgelegt und war ebenfalls bis Cee gelaufen. Sie saß nur knapp 100 Meter entfernt von mir in einem Burger Laden… Ich ging zu ihr rüber und wir quatschen über die heutige Etappe. Noch schnell in den Supermarkt um mich mit Getränken für den morgigen Tag einzudecken. Als ich in der Herberge ankam, falle ich nach der Mörderetappe direkt ins Bett… schaue vor dem Einschlafen aber noch die ein oder eine Folge Stromberg auf dem Handy… Gute Nacht!
Nachdem ich ja gestern fast „ausgeschlafen“ hatte, ging es heute Morgen wieder recht früh los. Schon um halb 7 verließ ich das Hostel. Gerade auf den ersten Kilometern musste ich noch an den gestrigen Tag denken. Wie schön es war, dass wir das gemeinsam erlebt hatten und auch die Traurigkeit, die ich spürte, als ich mich von Bea verabschiedete. Kurz nachdem ich diesmal ohne Probleme aus der Stadt heraus fand, ging es wieder mal leicht bergauf. Als ich den kleinen Anstieg gemeistert hatte, blieb ich stehen, drehte mich um und warf noch einen letzten Blick auf Santiago. Es war leider noch zu dunkel und ich schon zu weit entfernt, um noch ein taugliches Foto von der Stadt machen zu können…
Ein paar Meter weiter, entdeckte ich am Wegesrand einen Korb. In diesem lagen frische Feigen aus eigenem Anbau für die Pilger, die vorbeizogen… Auf dem ganzen Weg gab es immer wieder kleine Gesten oder Gaben durch die Einheimischen, selbstverständlich immer auf Spendenbasis. Mich faszinierte dies auf dem gesamten Weg und Feigen hatte ich bisher noch nicht gegessen:-) So ließ ich eine kleine Spende da und griff zu.
Der Weg führte mich weiter durch ein paar schöne Waldpassagen. Es war noch ziemlich kalt in den ersten Stunden. In der Nacht hatte der Himmel aufgeklart und auch am Morgen war noch keine einzige Wolke zu entdecken. Ich lief durch ein paar kleinere Orte. Die Bauernhöfe schien ich hinter mir gelassen zu haben. So sehr ich es auch zu Anfang genossen hatte, hier entlang zu kommen, so sehr ekelte es mich jetzt an, den säuerlichen Duft des gegährten Heus in den Ballen schon von weitem zu riechen. Ja ich dachte zwischenzeitlich wirklich, dass ich mich übergeben müsste… Seitdem ich in Galizien war, ging ich halt täglich an mehreren dieser Höfe vorbei…
Wenn ich durch die kleinen Orte ging, wartete vor vielen Häusern und so gut wie an jedem Bauernhof ein Hund der dort nicht angebunden rum lief. Die allermeisten waren super lieb, dösten vor sich hin und kümmerten sich nicht um vorbeiziehende Pilger. Für sie war es ein gewohnter Anblick. Leider hatten nicht alle Hunde ein so entspanntes Leben und waren angekettet oder eingezäunt. Eines Morgens wurde ich so dermaßen erschreckt, als ich an einer Mauer entlang lief und mich wie aus dem Nichts mehrere Hunde laut anbellten. Meine Schritte hatten mich verraten. Es war noch dunkel wegen der Mauer konnte ich sie nicht sehen. Ein regelrechter Blitz durchfuhr meinen Körper als dieses tiefe Bellen ertönte und ich mich dachte, das können keine kleinen Hunde sein… Wie erstarrt blieb ich stehen. Als ich langsam weiterging, sah ich wie an der Ecke der Mauer vier große Hunde auf mich warteten, ihre Vorderfüße auf dem Sims hatten und mich ununterbrochen laut anbellten. Die Mauer war locker zwei Meter hoch, daher musste es auf der anderen Seite eine Erhöhung geben. Leicht panisch ging ich weiter, auch in der Hoffnung, dass sie nicht auf die Idee kamen über die Mauer zu springen. Einige Meter entfernt war ich sichtlich erleichtert. An den Moment und die Geräuschkulisse kann ich mich auch heute noch sehr gut erinnern…
Als ich den Schreck verdaut hatte und den nächsten Ort erreichte, gönnte ich mir erstmal einen Kaffee. Nach der wohltuenden Pause, in der mein Puls wieder Normalform erreichte, ging es dann alsbald weiter. Beim Weitergehen bemerkte ich etwas völlig Neues noch nie Dagewesenes auf dem Weg… Zum allerersten Mal kamen mir jetzt auch Pilger entgegen. Klingt nach einer Banalität, aber wenn man quasi vier Wochen nur Menschen traf, die in die gleiche Richtung gingen, war das hier etwas ganz Besonderes. Pilger, die von Muxia oder Finisterre auf dem Weg nach Santiago waren…
Für mich war es heute mal wieder ein entspannteres Pilgern. Wie ich euch ja schon erzählt hatte, waren die letzten Tage von Sarria bis Santiago die reinste Heuschreckenwanderung, weil einfach so viele Menschen auf dem Stück unterwegs waren. Hier und jetzt konnte ich die Landschaft, das Wetter, die Ruhe und die Menschen wieder genießen…
Auch die Landschaft veränderte sich wieder, je weiter ich in Richtung des Meeres ging. Zack, auf einmal stand da eine Palme 🙂 Es war die erste, die ich entdeckt hatte auf dem Weg…
Etwas später stand ich dann auf der gotische Brücke bei Ponte Maceira. Sie überspannt dort den Rio Tambre. Von der Brücke aus hatte ich einen ganz tollen Blick über den Fluss und lauschte den Klängen des plätschernden Wassers. Warum erzähl ich euch das jetzt?! Tja, es klingt auch hier nach einer Kleinigkeit, aber mir wurde in dem Moment erst wirklich bewusst, wie grün es in Galizien doch war, im Vergleich zu den Regionen vorher. Genau das genoss ich jetzt gerade und verweilte eine Zeit auf der Brücke…
Da ich nur eine Pause gemacht hatte (ihr wisst schon, um meinen Puls wieder runter zu fahren) und ich mich wie gesagt, sehr gut fühlte, völlig erreichte ich ohne weiteren Zwischenstopp und völlig schmerzfrei Negreira nach knapp 22 km. Endlich Zeit für ein Frühstück, wobei man dies nicht mehr als solches bezeichnen konnte, da ich bereits über vier Stunden unterwegs war und meine Uhr kurz nach elf anzeigte. Ein Käsebaguette und ein Café con leche sollten als Stärkung ausreichen. Für mich an der Stelle auch etwas überraschend, dass ich auf ein Bier verzichtete 🙂 noch…
Mein Schienbein hatte sich durch den Ruhetag in Santiago sichtlich erholt, sodass ich heute quasi in einem Rutsch bis hierher kam. Der Wanderführer schlug Negreira als Etappenziel vor. Dafür würden es dann in den nächsten beiden Tagen noch einmal über 33 bzw. 31 km werden… mmmmhhh, dachte ich… da könnte ich doch heute locker ein paar km zusätzlich machen. Fühlte mich gut und es war auch erst mittags. So warf ich einen weiteren Blick in mein Buch und den Verlauf des Weges. Nach kurzer Überlegung erklärte ich den Ort Vilaserio als mein heutiges Tagesziel. Das bedeutete gleichzeitig, dass ich ab jetzt noch gute 12 km vor mir hatte… Schuhe geschnürt, Rucksack auf und es ging weiter. Den Blick nach vorn, aber auch immer mal nach unten gerichtet 🙂
Gute drei Stunden später erschien das kleine Dorf Vilaserio dann vor mir als ich ein Waldstück verließ. Bereits auf dem Weg dorthin hatte ich mich per Google Maps schon über mögliche Herbergen informiert und mich für die Casa Vella entschieden. Als ich dort ankam und den Eingangsbereich betrat, wurde mein bisschen Spanisch ziemlich auf die Probe gestellt, da die Besitzer kein einziges Wort englisch sprachen… Naja, das Wichtigste nach einem freundlichen „buenos tardes“ war schnell geklärt. Ich ließ meinen Rucksack vor dem Haus auf den Boden plumpsen und trug mich im Inneren in das Gästebuch ein. Tatsächlich war ich heute der erste Pilger hier 🙂
Wenn ihr eine Minute Zeit habt, schaut euch mal den Link zur Herberge an. Neben Belorado, ihr wisst noch, die Herberge mit dem Pool im Garten 🙂 war das hier ein weiteres richtiges Highlight. Casa Vella war ein Schmuckstück, so wie sich die Anlage präsentierte.
Nach den knapp 34 km bezog ich kurz mein Bett, sprang unter die Dusche, machte rasch meine Wäsche und ließ mich dann mit einem kühlen Bier im wunderschönen Garten der kleinen Herberge nieder. Hier könnte man ohne Probleme ein paar Tage länger bleiben, dachte ich… So urgemütlich mit ein paar Hühnern die hier und da auch rumliefen…
Das Wetter war einfach der Kracher. Anfang Oktober und das Thermometer schaffte noch locker die 30 Grad Marke. Unter einem großen Baum auf der Wiese fand ich im Liegestuhl einen tollen Platz. In der prallen Sonne hätte ich es nicht ausgehalten…
Meine durstige Kehle wurde an diesem Nachmittag regelmäßig mit einem kühlen Bier von innen befeuchtet. Das „un cerverza por favor“ kam mir doch recht flott über die Lippen… Beim Blick auf die Preistafel erklärt sich auch warum 🙂
An Kaffee oder Rotwein war in der Nachmittagssonne nicht zu denken:-). So genoss ich die Zeit im Garten, machte mir einige Notizen in mein Tagebuch und schrieb die ein oder andere WhatsApp Nachricht…
Gegen 19.30 Uhr würde es Abendessen geben, so erfuhr ich zwischendurch. Blieb also noch genug Zeit zu chillen. Ein weiterer Gast betrat das Anwesen und er war nicht allein… Jorge aus Madrid näherte sich mit seinem Border Collie „Huella“ und ging auf den Eingangsbereich der Herberge zu. Nach einem lockeren „hola“, kamen wir im englisch/spanisch Mix schnell ins Gespräch. Als ich in fragte, was er beruflich macht, erzählte er von seiner Hundepension und dass er jetzt mit seinem eigenen Hund auf dem Jakobsweg unterwegs sei. Als ich seinen Worten so lauschte, dachte ich welch coolen Job der Bursche doch hat. Er konnte den Camino leider nur zwei Wochen am Stück gehen, da die Pension für die Zeit geschlossen werden musste und er somit auch kein Geld verdiente. Völlig ins Quatschen vertieft, verpennten wir fast das Abendessen. Jorge aß jedoch nicht mit was ich sehr schade fand. Er blieb bei Huella und hatte im Vorfeld für sie und ihn eine Kleinigkeit zum Abendessen besorgt. Welch tolle Beziehung er zu der Hündin hatte, dachte ich.
Vor dem Abendessen trafen tatsächlich noch weitere Pilger ein. Josef und Marc aus Frankreich, sowie Anymade und Jonny aus Dänemark. Nein, ich habe mir die Namen nicht ausgedacht, sie hießen wirklich so… Wir trafen uns alle am großen Tisch zum Abendessen. Unter uns entstand eine sehr gesellige und lustige Unterhaltung über das was alle bis hierher erlebt hatten. Josef und Marc z.B. waren bereits in Le Puy gestartet. Dort war der Weg bekannter unter dem Namen Via Podiensis. Die beiden hatten bis hierher schlappe 1.500 km hinter sich. Was für eine Strecke… Zur Erklärung, Josef und Marc waren ein fortgeschrittenes Semester und beide so um die 60 Jahre alt. Ich fragte sie warum sie sich das antun würden ??? Also nichts gegen das Pilgern, schon klar, aber es war schon gewaltige Strecke… Naja, sagte Marc, wir haben jetzt die Zeit und außerdem müssten wir mal von unseren Frauen weg:-)
Ich musste lachen. Beide hatte ich schon einmal getroffen. Da wirkten sie jedoch eher unsympathisch auf mich. Wie der erste Eindruck manchmal täuschen kann! Jetzt hier am Tisch hatten wir tolle und lustige Gespräche, natürlich alles auf englisch :-). By the way, das zubereitete Essen schmeckte fantastisch. Zur Vorspeise gab es eine Kürbissuppe, zum Hauptgang etwas Fleisch mit Salat und zum Nachtisch Apfelmus. Wir waren uns alle schnell einig, dass wir einen Wein zum Essen trinken wollten… So bestelle ich eine Flasche dazu. Und wieder passierte etwas Neues… Zum ersten Mal überhaupt, wurde uns der Wein getrennt berechnet. Naja, was solls dachte ich. Es war ein fantastischer Abend. Alle hatten eine Menge Spaß und wir haben uns toll amüsiert. Jonny und ich übernahmen den Wein. Es wurde auch Zeit in die Falle zu gehen. Wir verabschiedeten uns voneinander und jeder verschwand nach und nach in sein Bett.
Nach dem sagen wir mal, sehr brachialen Marsch am Vortag, hatte ich geschlafen wie ein Stein. Zum Glück war heute für Pilgerverhältnisse Ausschlafen angesagt. Erst um kurz nach acht hievte ich meinen Kadaver aus dem Bett… Ich war mit Bea und Theresia zum Frühstück verabredet. Wir drei trafen uns im Eingangsbereich des Hostels und zogen in Richtung Kathedrale. Als wir auf dem Vorplatz ankamen, sahen wir wie weitere Pilger ihr Ziel erreicht hatten und einfach dort verweilten, sich in die Arme fielen und einfach glücklich waren!
Jetzt war die Zeit für ein Foto gekommen 🙂
perfektes Wetter am Morgen in Santiago
Nach der kleinen Fotosession saßen wir drei um kurz nach zehn in einem kleinen süßen Café abseits des Mainstreams… So gegen 11 Uhr wollten wir wieder in der Kathedrale sein, da die Messe um 12 Uhr begann und es garantiert rappelvoll werden würde. Nach dem leckeren Frühstück in entspannter, nicht hektischer Atmosphäre ohne Pilgerstress, suchten wir uns einen Platz in de riesigen Kirche und schauten dem Treiben zu. Immer mehr Pilger und Gläubige füllten die Bänke vor und hinter uns. Um Punkt 12 Uhr begann die Messe, jetzt gab es keine freien Plätze mehr. Der Pfarrer sprach natürlich nur spanisch. Einige Wortfetzen konnte ich jedoch verstehen. An einem bestimmten Punkt der Zeremonie, zählte der Geistliche immer die Nationen auf, aus denen die Pilger Santiago am Vortag erreicht hatten.
Zum Ende der Messe fand das vorher vermutete Ritual statt, von dem es heißt, dass es nur vollzogen wird, wenn Spenden in Höhe von 300 Euro zusammenkommen… Acht Männer hieven per Seilzug einen riesigen Weihrauchkübel in die Höhe, sodass dieser quer durch die vorderen beiden Seitenschiffe der Kirche geschwenkt wird. Früher diente dies dazu den strengen Körpergeruch der Pilger erträglicher zu machen. Heute war es ein Spektakel!
Nach diesem beeindruckenden Erlebnis und der abgehaltenen Messe gingen wir bei bestem Wetter auf den Vorplatz der Kathedrale zurück. Franz aus Regensburg, den Bea und Theresia kennengelernt hatten, gesellte sich zu uns. Wir fanden am Vorplatz ein schönes, wenn auch etwas teures Restaurant um gemeinsam Mittag zu essen. Während wir da so saßen und uns übe die Erlebnisse der letzten Tage austauschten, verging die Zeit viel zu schnell. Ich buchte mit meinem Telefon noch eine weitere Nacht im Hostel und besorgte mir am Automaten frisches Bargeld. Bea und Theresia bummelten durch die Stadt. Heute wollten wir uns einfach nur erholen… Da mir so gar nicht nach Bummeln war, ging ich in den nächsten Supermarkt, deckte mich mit ein paar Getränken ein und suchte mir einen schönen Platz im nahegelegenen Park. Herrlich war sie diese Ruhe! Mit dem Stift in der Hand saß ich auf einer Holzbank und schrieb die Gedanken und Ereignisse des Tages auf.
Am späten Nachmittag zog es mich so langsam zurück ins Hostel, das wie ich herausfand einen wunderschönen kleinen Garten hinten raus hatte. Bea trudelte etwas später auch ein, blieb aber nicht lange, da sie wieder mit Theresia verabredet war. Bea würde Morgen früh in den Bus nach Muxia einsteigen… So trennten sich unsere Weg ab hier, was mich doch etwas traurig stimmte nach der gemeinsamen Zeit auf dem Camino. Wir umarmten uns und verabschiedeten uns voneinander. Von Muxia aus läuft sie dann noch bis Finisterre. Auch wenn dies jetzt mein Ziel sein wird in den Tagen, ist es doch eher unwahrscheinlich, dass wir uns nochmal treffen… Ich verfolgte noch den Sonnenuntergang und suchte dann mein Koje auf. Morgen wollte ich dann wieder früh los…
Meine Uhr weckte mich zuverlässig um 6 Uhr und schon 20 Minuten später verließ ich die Herberge. Der Schwabe von gestern Abend war anscheinend noch vor mir los, sein Bett sah verlassen aus und ich hatte ihn bisher nirgends entdecken können. So nahm ich meinen Rucksack, um mir im Erdgeschoss des Gebäudes die Schuhe anzuziehen. Genau da passierte es, der Typ war gerade dabei sich fertig zu machen, mit seiner Kopfleuchte und den Gehstöckern. So ein Scheiss, dachte ich und ließ mir absichtlich noch etwas mehr Zeit. Ich wollte mit dem Experten nicht zusammen die Herberge verlassen. Als er sich auf den Weg machte, erkannte ich ihn kurze Zeit später nur noch anhand seiner nicht übersehbaren Kopfleuchte :-), die in gebührendem Abstand vor mir nach links und rechts wackelte… Gott sei Dank.
Nach knapp einer dreiviertel Stunde und kurz hinter dem kleinen Ort Castañeda traf ich noch im Dunkeln auf eine deutsche Familie. Mit dem 20jährigen Sohn Jonas unterhielt ich mich eine ganze Weile. Wir waren etwas schneller unterwegs und so den anderen immer ein Stück voraus:-). Er erzählte mir, dass seine Mutter diese Reise schon länger machen wollte und diese von langer Hand geplant hatte. Er und seine Schwester fanden die Idee erst nicht so toll, mussten aber zugeben, dass es ihnen jetzt sehr gut gefällt…
Am morgigen Dienstag feierte sie ihren 50. Geburtstag und das wollte sie gemeinsam mit ihrer Familie in Santiago tun. Was für eine coole Idee dachte ich! Sie war wie ich in SJPDP gestartet und ihre Kinder Jonas und seine Schwester kamen in Sarria dazu… (Ja genau in dem Ort, wo auch alle, wie ich sie nannte, Touristenpilger starteten:-) Diese Wanderung hatte jedoch einen ganz anderen Hintergrund und ich fand diese Idee großartig. Jonas wohnte in Darmstadt und arbeitete bei der Werksfeuerwehr einer großen Chemiefirma. Beim Thema Fußball musste er passen, seine Leidenschaft gehörte dem American Football, wo wiederum ich nicht mitsprechen konnte 🙂 Da wir seiner Mutter und seiner Schwester etwas enteilt waren, stoppte er nach einiger Zeit um auf sie zu warten. Ich verabschiedete mich von Jonas, bedankte mich für den kurzen Einblick in sein Leben und setze meinen Weg fort.
sehr einladend für einen Stopp das Café
Eine dreiviertel Stunde später gönnte ich mir eine erste Kaffeepause, um darüber nachzudenken, wo meine heutige Etappe heute enden soll, bevor ich morgen Vormittag Santiago erreichen werde. Ab Boente waren es immerhin noch gute 50 km bis zur Kathedrale… Fürs erste ging ich weiter und machte gute drei Stunden später einen weiteren Stopp. Auch weil sich mein rechtes Schienbein mal wieder bemerkbar machte und mir höllisch weh tat.
Während meiner Pause erreichte mich eine WhatsApp von Bea und Theresia. Die beiden schrieben mir, dass sie in Santiago angekommen waren. Es war jetzt ca. 14 Uhr und vor mir lagen noch über 15 km bis dorthin. Also umgerechnet mindestens noch drei Stunden reine Gehzeit… Trotzdem hatte mich ab diesem Moment der Ehrgeiz gepackt. Ich rief in dem Hostel an, indem Bea und Theresia sich einquartiert hatten. Tatsächlich hatte ich wieder Glück:-) und konnte ein Bett reservieren. Mit den Gedanken im Kopf heute noch ein gutes Stück vor mir zu haben, war ich dann wohl so abgelenkt, dass ich vom Weg abkam… Anders konnte ich mir das nicht erklären. Nach einiger Zeit erst stellte ich fest, dass hier jeder Hinweis auf einen gelben Pfeil, eine Jakobsmuschel oder andere Pilger fehlte. Ich nahm mein Telefon zur Hand und versuchte mich so wieder zurück auf den Weg zu orten. Zu dem Zeitpunkt befand ich mich bereits am Fahrbahnrand einer viel befahrenen Straße. Ich war schon zu weit „falsch“ gelaufen, als das sich ein Zurückgehen lohnen würde. Dies würde meinen Weg nur unnötig verlängern, dachte ich.
So biss ich in den sauren Apfel und ging an der Leitplanke der Straße entlang… Nicht ganz ungefährlich, da die Autofahrer an dieser wie sich jetzt herausstellte, Bundesstraße, nicht mit Pilgern rechneten… An Stellen wo der Weg sonst an Straßen entlang führte, waren immer Warnschilder mit dem Hinweis auf Pilger angebracht. Hier suchte man diese vergeblich.
Eine ganze Stunde lang bretterten die Autos und LKWs an mir vorbei und ich war heilfroh endlich an einem Café neben der Straße anzukommen. Total erleichtert legte ich meinen Rucksack vor dem Gebäude ab, zog erstmal meine Schuhe aus und legte die Beine hoch. Der Blick auf die Karte verriet mir, dass ich tatsächlich nur noch schlappe 5 km von Santiago entfernt war. Zur Stärkung gönnte ich mir (wie ihr euch bestimmt denken könnt) ein großes Bier und genoss draußen sitzend im Schatten meine Pause.
Auf geht’s Stephan, dachte ich! Eine gute Stunde noch bis Santiago. Der Reiseführer schlägt den Pilgern vor, in Monte de Gozo, wo ich mich gerade befand, Halt zu machen um am nächsten Morgen nach Santiago „einzulaufen“. Für mich kam das jetzt so kurz vor dem Ziel nicht mehr in Frage. Zumal ich mich drauf freute, den Abend mit Bea und Theresia verbringen zu können. Wir hatten uns ne ganze Weile nicht gesehen. Die letzten km waren wegen der Schmerzen und der vielen Stunden die ich heute auf den Beinen war die Hölle… ein Lächeln fiel mir gerade sehr schwer. Ich erreichte den Stadtrand von Santiago und konnte bereits jetzt die beiden Spitzen der Kathedrale erkennen. Ab jetzt hieß es „nur“ noch Zähne zusammen beißen, um die letzten paar hundert Meter durch die Stadt zu meistern. Es war 17:30 Uhr als ich durch den Torbogen neben der Kathedrale schreitete. Vorbei an dem Vorplatz an dem sich alle Pilger in den Armen liegen und ihre Ankunft feierten. Mir war alles andere als nach feiern… Die Etappe hatte mich völlig fertig gemacht. Nach 11 Stunden und unfassbaren 49,7 km stand ich vor meiner Unterkunft. Soviel, wie ich zuvor noch nie an einem Tag auf dem Camino hinter mir gelassen hatte. Das war heute eine reine Willensleistung…
Das Hostel lag nur einen Steinwurf von der Kathedrale entfernt in einer Nebenstraße. So ging es für mich schnurstracks dorthin. Nach diesem langen Tag, wollte ich einfach nur noch raus aus den Schuhen, Duschen und ein am besten eiskaltes Bier. Gegenüber vom Hostel befand sich ein kleines Restaurant wo ich mich nach meinen Waschungen, ohne zu übertreiben, gerade so hinschleppte. Im Außenbereich gab es noch frei Plätze. Bea und Theresia schrieben mir, dass sie auf dem Weg zu mir waren. Ich freute mich total die beiden wiederzusehen. Wir fielen uns in die Arme und stießen gemeinsam auf unseren Erfolg, es bis nach Santiago geschafft zu haben. an
Da so sitzend merkte ich, dass mir jetzt alles weh tat, was einem so weh tun kann und ich hatte keinen Bock mehr, mich auch nur noch einen Meter zu bewegen. Ich spürte vom Kopf bis zum Zeh jeden Muskel :-). Gerade als ich dies zu Ende dachte, warfen die beiden die glorreiche Idee in die Runde, doch heute noch ins Pilgerbüro zu gehen, damit wir unsere Compostela in Empfang nehmen könnten. Morgen Vormittag wäre der Andrang und die Wartezeit bestimmt viel höher. Mir fiel in diesem Moment fast alles aus dem Gesicht… aber vermutlich hatten die beiden recht und morgen würde ich es ihnen danken. Also ging es mit langsamen Schritten ins Pilgerbüro. Die Schlange dort war zum Glück sehr überschaubar an diesem Montagabend.
Warten auf die Compostela
Nur eine knappe halbe Stunde dauerte es, bis wir unsere voll gestempelten Pilgerpässe vorlegen konnten, um dann endlich das lang ersehnte Schriftstück in unseren Händen halten zu können.
Die lang ersehnte Compostela!
Es war nicht unüblich, dass die Pilger hier mehr als zwei Stunden anstehen mussten… Behördenromantik halt. Wir gingen zurück in das kleine Restaurant und ließen den Abend gemeinsam ausklingen. Gegen 22 Uhr landete ich kaputt wie Hund in meinem Bett. Jetzt hatte ich Santiago nach sage und schreibe 28 Tagen erreicht, obwohl es nie mein Plan war in einer bestimmten Zeit hier anzukommen. Der Weg hatte mich immer wieder angezogen wie ein Magnet, egal wie ich mich tagsüber gefühlt hatte. Am nächsten Morgen gab es immer nur diesen eine Gedanken… Weitergehen. Ich konnte der Stadt und der Kathedrale heute nicht die nötige Aufmerksamkeit schenken, dafür war ich einfach zu k.o…
Am nächsten Tag werden wir versuchen einen Platz in der Kathedrale für die anstehende Pilgermesse zu ergattern!
Außerdem hatte ich mich dazu entschieden, meinen Weg bis zum Meer fortzusetzen…
Ich hatte geschlafen wie ein Stein in meinem Bettchen. Ohne Ohropax, niemand mit dem ich das Stockbett teilen musste und es in der Nacht anfing zu wackeln :-). Meinen Rucksack musste ich am Abend zuvor nicht ordnen und konnte am Morgen alles in Ruhe nacheinander einpacken. Dabei konnte ich soviel Krach machen wie ich wollte… Gerade in diesem Moment wusste ich diesen kleinen Luxus verdammt zu schätzen!
Wieder startete ich mit Nebel am frühen Morgen. Durch die Strapazen der vergangenen Tage, waren die ersten Schritte jetzt immer eine kleine Herausforderung. Ich hatte sogar Muskelkater in den Beinen. So musste ich mich immer erst einlaufen, bis die Muskeln einigermaßen warm waren. Der Weg führte mich durch viele kleine und kleinste Ortschaften. Nach drei Stunden dann mein erster Kaffee Stopp und Zeit die Füße kurz hochzulegen. Melide, das geografische Zentrum Galiziens erreichte ich gegen Mittag. In der 7500 Einwohner zählenden Stadt herrschte trotz des Sonntags reges Treiben. Der Grund hierfür war nicht zu übersehen. Es war Markt und dieser erstreckte sich über einen sehr großen Platz. In einem Café an der Straße traf ich Hanna wieder und wir unterhielten uns kurz. Melide ließ ich hinter mir, da mein Tagesziel nicht mehr weit entfernt war. Der wieder sehr kleine Ort Boente mit seinen gerade einmal 20 Einwohnern überraschte mich jedoch mit einer nigelnagelneuen „Deutschen Herberge“ am Wegesrand. Hier checkte ich ein. Meine Klamotten ließ ich wieder mal waschen nach all den Tagen. Schnell unter die Dusche, dann war es wieder Zeit für die Fußpflege…
nigelnagelneue, helle Herberge in Boente
Nach dem gestrigen Luxus in meinem Einzelzimmer, war das wieder eine sehr tolle Unterkunft! Im Garten war ein kleiner Pool, der sich jedoch eher für ein ausgiebiges Fußbad eignete, da das Wasser nur 50 cm tief war. Ein sehr idyllischer und ruhiger Ort abseits des Massenstroms, den der Weg auf den letzten 100 km oft mit sich brachte, wenn man die im Reiseführer vorgeschlagenen Etappen ging. Ich hatte es ja bereits erwähnt. Der Camino war jetzt nicht mehr wirklich schön zu laufen. Ich geriet regelmäßig in Massen von Menschen, die wie an einer Schnur gezogen in Richtung Santiago unterwegs waren. Auf Unterhaltungen hatte ich so gut wie keine Lust mehr. Das Treiben erinnerte teilweise an volle Einkaufsstraßen in der Vorweihnachtszeit. Das „buen camino“ verkniff ich mir auch meistens, da ich dies ständig hätte sagen müssen. Also machte ich es mir einfacher und stopfte mir die Kopfhörer ins Ohr. So toll und ergreifend der Weg an so vielen Stellen war, so kommerziell war er es jetzt. Die Bars und Cafés am Wegesrand waren überfüllt…
Zurück zu meiner Herberge. An diese war wie so oft ein Restaurant angeschlossen. Ich bestellte mir einen Salat mit Nudeln, sowie zum zweiten Mal auf meiner Reise, ein Weizenbier.
Die Kleinigkeiten machten es immer aus. Wie zufrieden und glücklich ich immer war, wenn ich mit etwas zu Essen und einem kühlen Getränk den Tag ausklingen ließ…
Den Nachmittag erlebte ich total entspannt, teils in der Sonne, teils im Schatten. Nur wenige Pilger kehrten hier im Tagesverlauf noch ein. Vor dem Einbruch der Dunkelheit nahm ich meine Wäsche ab und ging in den kleinen Schlafsaal. Hatte mein Bett bewusst in der Ecke gewählt. Als ich das Zimmer betrat, fuchtelte ein nervös wirkender Schwabe an den Bewegungsmeldern im Zimmer rum. Er quatschte mich direkt an, wie doof die Architekten denn sein mussten, dass durch die Bewegungsmelder an der Wand, auch nachts das Oberlicht im Raum eingeschaltet würde. Also klebte er kurzerhand alles mit seinem Tape Band ab. Nach kurzem Zögern und leicht genervt erklärte ihm, dass die wie er glaubte Bewegungsmelder an der Wand nur reines Nachtlicht waren, die grün schimmerten. Die tatsächlichen Bewegungsmelder wären im Flur und Bad an der Decke montiert. Er guckte mich nur irritiert an und sagte : „Ach so“. Tatsächlich genervt von dem Typ ging ich ins Bett.